Kölner Stadtanzeiger, 08.02.2013

von Joachim FRANK

"Aggressiv-antikirchliche Stimmungen"

Köln. Kardinal Joachim Meisner sieht in seiner Abkehr vom strikten Verbot der "Pille danach" keine neue Morallehre. Zwar habe er sich "als Ihr Bischof lehramtlich geäußert", schreibt Meisner allen Priestern und pastoralen Mitarbeitern im Erzbistum Köln. Ihnen habe er "die notwendige Sicherheit für ihren wichtigen Dienst" geben wollen, indem er "unsere bisherigen moraltheologischen Prinzipien" auf eine neue Situation angewandt habe. Damit meint der Kardinal Medikamente, die als "Pille danach" nur verhütend wirken, aber keine Abtreibung zur Folge haben. Es gehe darum, die Position der Kirche darzulegen, aber auch darum aufzuzeigen, "wie wir handeln und helfen können".

Zum Umgang mit Fällen sexueller Gewalt gegen Kinder und Jugendliche durch Geistliche unterstrich der Erzbischof die Ankündigung der Bischöfe, "die verabscheuungswürdigen Vorkommnisse rückhaltlos aufzuklären und zu erforschen, welche Umstände dies in unserer Kirche ermöglicht haben". Die nach dem Zerwürfnis mit dem Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen und dessen Direktor, Christian Pfeiffer, abgebrochene Studie zu den Missbrauchsfällen wollten die Bischöfe mit anderen Experten "unbedingt fortsetzen", betont Meisner. "Das sind und bleiben wir den Opfern schuldig." Ebenso bekräftigte er die Anstrengungen der Kirche zur Prävention sowie die Bereitschaft, den Opfern "alle möglichen Hilfen - auch finanzieller Art - zukommen zu lassen". In seinem Brief bedauert Meisner den entstandenen Vertrauensverlust, beklagt aber auch Unredlichkeit in der Berichterstattung der Medien.

In der öffentlichen Auseinandersetzung spüre er Häme und Aggressionen der Kirche gegenüber, die ihn "sehr betroffen" machten, insbesondere weil sie den Dienst der Seelsorger belasteten. Es gebe jeden Tag "reichlich Gelegenheit" zur Übung "im Sich-schlagen-Lassen und im Standhalten gegenüber den Maßstäben der herrschenden Meinungen", schreibt Meisner und fordert zugleich - mit einem Wort Papst Benedikts XVI. - unbedingten Mut zur Standhaftigkeit.

Der Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), Alois Glück, zeigte Verständnis für Meisners kritische Sicht auf das öffentliche Meinungsbild. In der Tat gebe es "aggressiv-antikirchliche Stimmungen", die zum Teil aus schlechten Erfahrungen mit der Kirche rührten, zum Teil aber auch Ausdruck einer Entfremdung gegenüber der Dimension des Religiösen überhaupt seien. Die katholische Kirche sei mit ihren Strukturen für antireligiöse Affekte besonders leicht greifbar, sagte der ZdK-Präsident.

Der Freiburger Sozialwissenschaftler und Theologe Michael N. Ebertz dagegen hält die Klage über Gehässigkeit für einen Ausdruck mangelnder Selbstkritik kirchlicher Repräsentanten. "Moralische Arroganz und Überheblichkeit in der Kirche fallen jetzt nur auf sie selbst zurück." Wenn die Kirche gerade in moralischen Fragen versage, sei es "kein Wunder, dass die Menschen hämisch reagieren - nach dem biblischen Motto, wer sich selbst erhöht, wird erniedrigt werden", sagte Ebertz dem "Kölner Stadt-Anzeiger".

Der Freiburger Wissenschaftler ist Fachberater der gerade erschienenen Sinus-Studie zur Lage der katholischen Kirche in Deutschland. Ebertz spricht von einem beängstigenden Zustand. "Die Kirche weist momentan organisationspathologische Züge auf, die bis an die Grenze zum Suizid reichen." Als engagierter Katholik müsse man "täglich auf der Hut sein, welche kommunikativen Schäden bestimmte Bischöfe in einer fatalen Mischung aus Überheblichkeit und Dilettantismus denn jetzt schon wieder angerichtet haben könnten".

Darum gingen die Durchhalteparolen des Kölner Kardinals an Kleriker und Laien in der Seelsorge auch in die falsche Richtung. "Die pastoralen Mitarbeiter sollen für Fehler geradestehen, die nicht sie selbst begangen haben, sondern die eigene Kirchenführung." Ebertz kritisierte namentlich Meisners Verhalten im KlinikenSkandal. "Ich wundere mich schon, wie der Kölner Kardinal im Alleingang die katholische Sexualmoral neu formuliert, ohne sich mit den anderen Bischöfen abzustimmen."