Kölner Stadtanzeiger, 01.02.2013

von Peter BERGER, Joachim FRANK

Kardinal spricht von neuen Erkenntnissen

Köln/Düsseldorf. Die Erklärung des Kölner Erzbischofs zur "Pille danach", die zu einer neuen Bewertung geführt hat, berücksichtige neuere Erkenntnisse, heißt es in der Erläuterung des Erzbistums zu Meisners Stellungnahme. Und die hat weitreichende Folgen. Damit dürfen Ärzte in katholischen Kliniken auch über eine "Pille danach" und Zugangsmöglichkeiten aufklären, wenn das Präparat eine Frühabtreibung zur Folge hat. Auch diese Regelung ist neu und weicht ab von den bisherigen ethischen Vorgaben, bei deren Verletzung Ärzte und medizinisches Personal mit der fristlosen Kündigung rechnen mussten. 

Die Weigerung zweier Kölner katholischer Kliniken im Dezember 2012, ein Vergewaltigungsopfer zu behandeln, hatte nach ihrem Bekanntwerden vor zwei Wochen zu einer intensiven Diskussion über die ethischen und praktischen Vorgaben der Kirche geführt. Meisner entschuldigte sich persönlich für die verweigerte Hilfe und forderte, ein solcher Fall dürfe sich nicht wiederholen. "Die Ärzte in katholischen Einrichtungen sind aufgefordert, sich rückhaltlos der Not vergewaltigter Frauen anzunehmen", so Meisner in seiner Erklärung vom Donnerstag. Dabei hätten sie sich sowohl am Stand der medizinischen Forschung zu orientieren als auch am Prinzip des Lebensschutzes. Aufgabe der Kirche sei es nicht, wissenschaftliche Kontroversen zu beurteilen, sondern allein, "die moralischen Prinzipien zu erklären". Der einzelne Arzt müsse sich dann "unter Voraussetzung dieser Prinzipien gewissenhaft kundig machen und so zu einerverantwortungsvollen Entscheidung kommen", so Meisner wörtlich.

Positiv äußerten sich auch die katholischen Krankenhäuser im Erzbistum Köln zu Meisner Stellungnahme. "Es gibt also kein generelles Verbot für die »Pille danach« für Vergewaltigungsopfer, sondern das Vertrauen in die Ärztinnen und Ärztein katholischen Einrichtungen, gewissenhaft und nach fachlichen Erkenntnissen zu handeln", erklärten der Kölner Caritasdirektor Frank Johannes Hensel und der Vorsitzende der Kölner katholischen Krankenhäuser, Ingo Morell. Die Erklärung nehme den Ärzten "eine Unsicherheit, die in letzter Zeit entstanden war". Sie richte "den Blick aber vor allem auf die Frau in Not, der nicht allein mit einem Medikament zu helfen ist, sondern die gerade in einem katholischen Krankenhaus mit Recht eine umfassende medizinische und seelische Hilfe erwarten darf". Der Vorfall in Köln habe "uns alle sehr bedrückt". Man hoffe, dass durch die Erklärung des Kardinals "die aufgetretenen Miss- und Fehlverständnisse ausgeräumt sind".

Meisners Schwenk ist von zusätzlicher Bedeutung, weil er damit auch Bewegung in die katholische Sexualmoral und das Verbot der künstlichen Empfängnisverhütung bringt. Zwar hält der Kardinal in Übereinstimmung mit dem päpstlichen Lehramt am Verbot der künstlichen Empfängnisverhütung (Pille, Kondom) für Eheleute fest, aber er erkennt eine weitere Ausnahme an. Schon in der Vergangenheit hatte Rom Ordensschwestern die Pille gestattet, wenn diese an ihren Einsatzorten fürchten mussten, Opfer von Massenvergewaltigungen zu werden - etwa durch marodierende Söldnerbanden in Afrika. Damit ist deutlich, dass das katholische Lehramt seine moralischen Normen nicht für absolut erklärt, sondern sie einer Güterabwägung unterzieht. Auch beim Kondomverbot hatte Papst Benedikt XVI. sich für ein solches Vorgehen offen gezeigt. In seinem Interviewband "Licht der Welt" erklärte der Papst, Kondome könnten ein Mittel sein, um bei (grundsätzlich verbotenem) homosexuellem Geschlechtsverkehr mit einem männlichen Prostituierten eine Ansteckung mit Aids zu verhindern.