Sven GRATZIK

Couragierter Polizist aus Dessau

„Hingucken!“ So heißt eine Devise der Landesregierung in Sachsen-Anhalt. Jenem Bundesland, das in der Kriminalitätsstatistik bei rechten Straftaten die Spitze anführt. 

„Hingeguckt“, wohl etwas zu gründlich, hatten drei Polizisten des Fachkommissariats „Polizeilicher Staatsschutz“ in Dessau. 

Sie sind seit 2007 alle nicht mehr auf ihrem Posten. Sie hatten in einem Gedächtnisprotokoll festgehalten, was ihnen der stellvertretende Polizeipräsident zu ihrer kontinuierlichen und erfolgreichen Ermittlungsarbeit, z.B. gegen Neo-Nazis gesagt hatte:

  • "Natürlich kommen mehr Delikte zum Vorschein, wenn genauer hingeschaut wird.“ Aber: „Niemand ist damit glücklich. Wir nicht, das LKA nicht, das Land nicht.“
  • Und: „Man muss ja nicht alles sehen!“ Anders gesagt: Man muss ja nicht so genau „hingucken!“

Die drei engagierten Polizisten mit Sven Gratzik als Chef waren ausgesprochen erfolgreich. Sie taten ihre Arbeit mit Gründlichkeit und frischen Ideen, bezogen auch die vielen lokalen Initiativen gegen Rechts mit ein, sprachen und diskutierten mit den Engagierten, stimmten gemeinsam Strategien und Maßnahmen gegen die rechte Szene ab. Jetzt sollte das offenbar nicht mehr erwünscht sein? 

Sven GRATZIK will das dreiseitige Gedächtnisprotokoll in seiner Personalakte haben – als Entlastung. Für alle Fälle. Das geht nun seinen Weg, den offiziellen Dienstweg: über die Leiterin des Zentralen Kriminaldienstes, von da aus über den stellvertretenden Polizeipräsidenten und von da aus weiter an die Polizeipräsidentin. Die reicht es an die Staatsanwaltschaft weiter. Und sie fertigt einen Bericht für das Innenministerium. Ein erstes Feedback kommt sogleich hinter vorgehaltener Hand zurück: Wer sich über solche Kleinigkeiten aufregt, gehört nicht in eine solche Abteilung (gemeint: Staatsschutz)! 

Genau so kommt es auch. Die ersten beiden ‚Staatsschützer’ werden versetzt. Gratzik bittet von sich aus um seine Versetzung. Erstens sind zwei seiner wichtigsten Mitarbeiter nicht mehr da, zum zweiten beschleicht ihn das unmissverständliche Gefühl, nicht mehr weiter arbeiten zu können wie bisher: Er läuft regelmäßig auf. Schließlich erhält er sogar ein Betretungsverbot für seine Dienststelle. Er kommt jetzt nicht mehr an seinen Schreibtisch oder Dienstcomputer heran. 

Einer der versetzten Kollegen wendet sich an einen Parlamentsabgeordneten (CDU), der auch im Petitionsausschuss sitzt. Der will das Protokoll mit Einverständnis des Polizisten dem Innenminister (SPD) zeigen. Der wiederum beauftragt einen internen Untersuchungsbericht, der den stellvertretenden Polizeipräsidenten entlasten und (deshalb wohl) auch nicht veröffentlicht wird. 

Inzwischen sind die Vorgänge aber an eine Tageszeitung gelangt: an den „Tagesspiegel“ im 120 Kilometer entfernten Berlin. Der engagierte Journalist, der seit vielen Jahren gegen Rechts anschreibt und auch die Schicksale zusammengeschlagener Menschen, u.a. in Sachsen-Anhalt, regelmäßig im Auge behält, veröffentlicht auch sogleich seine erste Geschichte einer ganzen Serie, für die er später den „Wächterpreis der Tagespresse“ erhält. Jetzt berichten sogar die anderen Zeitungen in Sachsen-Anhalt. Sie halten sich aber in dem Bundesland, das bei der letzten Landtagswahl 2006 eine Wahlbeteiligung von mageren 44% auf die Beine brachte, mit eigenen Recherchen und ausführlichen Hintergrundberichten vornehm zurück. 

Nicht zurück hält sich der Polizeiapparat. Ab sofort werden alle Datenaufzeichnungen und -bewegungen (emails, Dateneingaben in den PC) der drei Ex-Staatsschützer heimlich aufgezeichnet und gesichert – man möchte das Leck finden. Die fortan kontinuierliche Berichterstattung des „Tagesspiegel“ setzt nun die Politik unter Druck, die einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss einsetzt – dominiert von der Großen Koalition aus CDU und SPD. 

Der Innenminister (SPD), der vor den Abgeordneten Rede und Antwort stehen muss, versichert, dass gegen die drei Ex-Staatsschützer solange keine disziplinarischen Ermittlungen eingeleitet werden, wie der Parlamentarische Untersuchungsausschuss tagt. Tatsächlich geschieht das Gegenteil: Gegen die drei Polizisten laufen still und leise Disziplinarverfahren

Der ehemalige stellvertretende Leiter, der sich auf seiner neuen Dienststelle wenig herausgefordert fühlt, will auf die Polizeihochschule. Man wirft dem aufstrebenden Beamten – wo es nur geht – Knüppel zwischen die Beine. Und er wird im Auftrag des Innenministeriums bespitzelt. Letztlich kann er sich doch durchsetzen und studieren: mit gerichtlicher Hilfe. Er bewirbt sich im Bundesland Berlin - mit Erfolg, denn dort kann man engagierte und mitdenkende Polizisten gebrauchen. 

Sven Gratzik selbst wird ebenfalls mehrfach umgesetzt – immer dorthin, wo es nichts zu tun gibt; man hat keine Verwendung für ihn. Seit 2010 hat er eine neue Aufgabe: Jetzt ist er für „Prävention“, u.a. für das Puppentheater der Polizei in Sachsen-Anhhalt zuständig. 

So geht man in Sachsen-Anhalt, genauer gesagt: So gehen CDU und SPD mit engagierten Polizisten und der Bekämpfung von neo-nazistischen Umtrieben um: "Hingucken!"


Diesen Text können Sie aufrufen und verlinken unter www.ansTageslicht.de/Gratzik . Seine ganze Geschichte ist dokumentiert unter "Man muss nicht alles sehn!".

(Text: JL; Fotocopyright: Petrov Ahner)