Vorbemerkung Mindestlohn - eine eigennützige Medienkampagne

Die Anti-Mindestlohnkampagne des Axel-Springer-Konzerns

Wenn Unternehmen eine große Öffentlichkeitskampagne fahren wollen, müssen sie PR-Leute einschalten, die ihrerseits versuchen, ihre Anliegen oder Themen medienwirksam zu ‚verkaufen’. Und sie müssen bei den Medien Anzeigen schalten. Beides kostet Geld.

Wenn Medien selbst eigene Belange in die Öffentlichkeit bringen wollen, ist das einfacher: da sie die Besitzer der öffentlichkeitswirksamen Plattformen sind, können sie ganz unkompliziert, sprich jederzeit und ohne großes Geld, ihre eigenen Anliegen ganz schnell thematisieren. 

Wenn Medien an Unternehmen beteiligt sind und sie deren Anliegen ganz nach vorne bringen wollen, geht das ebenfalls ganz einfach. Konkurrierende Unternehmen allerdings haben es dann entsprechend schwerer: ein klarer Wettbewerbsnachteil. Wenn die Besitzer der öffentlichkeitswirksamen Plattformen dann aber

  • verschweigen, 
  • dass sie als „unabhängige“ Kontrollinstanz öffentlicher Interessen ihre eigenen wirtschaftlichen Interessen pushen, nämlich jene ihrer beteiligten Firmen,

dann gerät dies schnell in die Sphäre des Missbrauchs von Meinungsmacht. 

So geschehen im Herbst 2007: 

Die Große Koalition aus CDU und SPD streitet um den Mindestlohn und einigt sich auf einen solchen im postalischen Zustellgewerbe: zwischen 8,00 und 9,80 €. Für die Deutsche Post AG kein Problem – ihre Löhne für Briefzusteller liegen weit höher: umgerechnet zwischen 11 und 16 €. 

Für das Konkurrenzunternehmen PIN AG allerdings ein großes Problem: der private Zusteller zahlte Stundenlöhne allenfalls bis zu 7,50 €. Abzüglich diverser Sanktionen: für Krankheit, falsche Zustellung usw.

Der Axel-Springer-Verlag ist/war mehrheitlich an der PIN-Gruppe beteiligt. Mindestlöhne bei seinem Tochterunternehmen PIN konnten ihm nicht schmecken und so begann der Springer-Konzern das zu machen, was er öfters macht: seine publizistische Macht einzusetzen. Konkret: Springer begann in seinen Blättern eine Anti-Mindestlohnkampagne zu fahren – verkleidet in einschlägigen Presseberichten und ohne klarzustellen, dass er damit seine eigenen Interessen meinte. 

Das Sendeformat ZAPP des NDR griff das Thema auf: in zwei Berichten - nach der Kampagne begann die Post AG zu reagieren: Sie kündigte alle Anzeigen in Springer-Medien auf. 

Wir haben die Anti-Mindestlohnartikel -Kampagne rekonstruiert und dazu rund 100 Presseartikel aus dem Hause Springer ausgewertet. 

In der Chronologie einer Medienkampagne können Sie nochmals nachvollziehen, wie sich alles entwickelt hatte: die politische Diskussion um den Mindestlohn, die Mindestlohnverhandlungen, die Reaktionen der POST AG, das Firmenschicksal der PIN und wie der Springer-Konzern dabei agierte. Wie das Thema "Mindestlohn" im Zusammenhang mit den so genannten Hartz-Gesetzen überhaupt entstanden ist und wie der Stand der Dinge heute aussieht, finden Sie in unserer Chronologie des Mindestlohns

Die Springer-Kampagne des Jahres 2007 verpuffte schnell - die Mehrheit der Bevölkerung ist ganz klar für einen Mindestlohn. Dazu finden Sie auch Argumente zum Thema Mindestlohn: Pro & Kontra. Die Bevölkerung hat sogar schon lange klare Vorstellungen dazu, wie sich aus der Umfrage aus dem Jahr 2007 ergibt: 

Dass "wirtschaftliche Eigeninteressen von Verlagen erkennbar Einfluss auf die Berichterstattung der verlagseigenen Zeitung über ein Konfliktthema nehmen" können, ist wissenschaftlich Konsens und wurde bereits mehrfach empirisch untersucht.

In der kommunikationswissenschaftlichen Fachzeitschrift Publizistik (2010: 55: 173-192) haben die Autoren W. DYBSKI, K. HANEL, A. KRINGE, K. PEUN und Ralph WEIß in einer quantifizierenden Inhaltsanalyse die Berichterstattung der Welt, FAZ, FR und taz, die tageszeitung untersucht: "Ideologie vor Eigennutz?". Ergebnis: Obwohl "die Darstellung der konservativen FAZ zum Teil deutlich negativer ausfällt" und ganz offensichtlich "hier Ideologie vor Eigennutz die öffentliche Portraitierung prägt," fügen sich für die Welt "in diesem Konfliktfall die redaktionelle Grundhaltung in wirtschaftspolitischen Fragen mit dem Eigeninteresse des herausgebenden Verlags harmonisch zusammen."

Insofern bleibt es eine ständige Aufgabe auch der Wissenschaft, "die Rolle ausgreifender wirtschaftlicher Interessen für die Wahrnehmung der 'öffentlichen Aufgabe' (der Medien) zu untersuchen," konstatieren die Wissenschaftler.

 

Wenn Sie dieses Thema und diese Geschichte direkt aufrufen oder verlinken wollen, so können Sie dies unter www.ansTageslicht.de/Mindestlohn tun.

(JL)