Der 'ausgezeichnete' Bericht: „Dann geht man eben nachts putzen“

von Christina Hucklenbroich

Veterinärmedizin ist eins der begehrtesten Studienfächer. Doch nach dem Examen platzt häufig der Traum: Das Gehalt ist niedrig, die Belastung dagegen hoch

Montagmorgen auf dem Campus der Veterinärmedizinischen Fakultät in Gießen. Maria Stühmer schiebt ihr Fahrrad mit Schwung in einen Ständer vor dem Hörsaalgebäude. Sie hat es eilig: Seit gestern erst wohnt sie in Gießen, heute beginnen die Vorlesungen für die Erstsemester. Veterinärmedizin ist in diesem Jahr das begehrteste Fach der ZVS. Auf einen Studienplatz kommen fünf Bewerber; wer direkt zugelassen werden wollte, brauchte einen Abiturschnitt zwischen 1,1 und 1,5. Die 18-jährige Maria aus Sachsen hätte im Fall einer Absage Wartesemester gesammelt und sich wieder beworben: „Einen anderen Beruf als Tierärztin wollte ich nie.“ Am liebsten möchte sie später im Zoo arbeiten.

Als Maria den Anatomie-Hörsaal betritt, sind schon fast alle Plätze belegt; junge Frauen sind in der Überzahl. Etwas mehr als 1000 Erstsemester beginnen in diesen Tagen mit ihren Vorlesungen an den fünf deutschen Ausbildungsstätten, die das Fach anbieten. Tierarzt ist ein Frauenberuf geworden: 86 Prozent der Studienanfänger sind weiblich. Elf Semester liegen vor ihnen, bevor sie ins Berufsleben einsteigen können.

600 Euro im Monat für eine Vollzeitstelle

Doch mit der ersten Stelle platzt oft der Traum. Ein harter Arbeitsalltag und Löhne, die nicht zum Leben reichen, sind die Realität junger Tierärzte. Das zeigt eine Studie der Tierärztlichen Hochschule Hannover. Die Doktorandin Bettina Friedrich erreichte mit einem Fragebogen einen Großteil der 4300 deutschen Tierärzte, die in Praxen und Kliniken angestellt sind. Sie sind mittlerweile zu 75 Prozent Frauen. Friedrich fand heraus, dass das Durchschnittsgehalt für angestellte Tierärzte in den alten Bundesländern bei 2500 Euro liegt, in den neuen sogar nur bei 2000 Euro brutto – unabhängig von der Anzahl der Berufsjahre. Die Hälfte der Arbeitnehmer, die diese Angaben machten, hatte zum Befragungszeitpunkt bereits promoviert. Das geringste Gehalt, das männliche Vollzeitangestellte nannten, betrug 900 Euro brutto, bei Frauen knapp 600 Euro. Im Durchschnitt verdienen Männer 550 Euro mehr als Frauen.

Allerdings zeigen sich deutliche Unterschiede zwischen den Tätigkeitsfeldern. Die niedrigsten Durchschnittsgehälter fließen in Praxen und Kliniken für Kleintiere (2300 Euro brutto), gefolgt von solchen für Pferde (2500 Euro). Am besten schneiden mit 2850 Euro brutto die Praxen für Nutztiere ab, also etwa für Rinder oder Schweine. Für den Beruf sind nie Tarifvereinbarungen getroffen worden.

Pferdeärzte sind am unzufriedensten

Die Hannoveraner Studie beleuchtet auch die Arbeitsbedingungen. Die durchschnittliche wöchentliche Arbeitszeit der angestellten Tierärzte beträgt demnach 48 Stunden, wobei Notdienste noch nicht berücksichtigt sind. Für 75 Prozent der Angestellten bleibt der Notdienst unvergütet. Viele bemängeln ein fehlendes Privatleben; nicht einmal ein Drittel der angestellten Frauen hat Kinder. Am unzufriedensten sind die Pferdetierärzte. Ein Drittel von ihnen gibt zu Protokoll, während des Arbeitstages überhaupt keine Pause zu haben. Im Schnitt haben sie mit 55 Stunden auch die höchste Wochenarbeitszeit; sie leben viel häufiger allein als Angestellte anderer Praxisarten.

Aber auch Maria Stühmers Traum, Zootierärztin zu werden, wird mit Entbehrungen verbunden sein. „Wenn man mit Zootieren arbeiten möchte, ist es gängig, dass man erst mal überhaupt kein Gehalt bekommt, während man Berufserfahrung sammelt“, sagt die Sprecherin der Bundestierärztekammer, Sabine Merz, die selbst den Titel „Fachtierärztin für Zootiere“ erworben hat. „Dann geht man eben nachts putzen.“

Strapazen für die Eintrittskarte

In der Kleintiermedizin herrschen ähnliche Zustände. So bieten die meisten deutschen Universitäten einjährige Internships für junge Tierärzte an. Die Kleintierklinik der LMU München etwa schreibt in ihrer aktuellen Stellenanzeige, Bewerber mit Doktortitel und Berufserfahrung würden bevorzugt; die tägliche Arbeitszeit gehe von 7.30 Uhr bis nach 19 Uhr. Das Gehalt betrage 600 bis 850 Euro brutto im Monat inklusive Nacht- und Wochenenddiensten. In Gießen werden 850 Euro bezahlt. In Berlin erwartet man ein „überdurchschnittliches Examen“ und zahlt 600 bis 800 Euro. Die jungen Tierärzte lassen sich auf diese Bedingungen ein, weil sie Weiterbildungszeit sammeln möchten, um schließlich den Titel „Fachtierarzt für Kleintiere“ zu erwerben.

Viele streben auch eine sogenannte Residency an, eine drei- bis vierjährige internationale Spezialausbildung in verschiedenen Gebieten der Kleintiermedizin, etwa Chirurgie oder Augenheilkunde; das Internship gilt als Eintrittskarte. „Das Gehalt ist während der Residency aber im Grunde genauso niedrig wie im Internship“, sagt Leo Brunnberg, Dekan der Veterinärmedizinischen Fakultät in Berlin. „Man muss in diesem Beruf schon leidensfähig sein und Leidenschaft haben.“Die 18 Jahre alte Studentin Maria hat sich noch nicht damit beschäftigt, was ihr Traumberuf eines Tages für sie bedeuten wird. „Keine Ahnung“, antwortet sie auf die Frage, ob sie die Gehaltssituation kenne. „Ich mache das alles ja nicht wegen des Geldes.“