Ein ehemaliger Student berichtet: Marcel KALLWASS über die BA

Marcel KALLWASS, ein ehemaliger Student der Hochschule der Bundesagentur für Arbeit (HdBA) und zugleich Kritiker des Hartz IV-Systems, berichtet über seine Erfahrungen in seiner Studienzeit von 2011 bis 2013. KALLWASS bekommt einen tiefen Einblick in die Gesetzesregelungen der Sanktionspraktiken und merkt schnell, wie lückenhaft das Hartz IV-System ist. Im Juni 2013 startet er seinen Blog: kritischerkommilitonehttp://kritischerkommilitone.wordpress.com/about/in dem er sich kritisch gegenüber seinem ehemaligen Arbeitgeber äußert - nach Vorbild von Inge HANNEMANN.

ansTageslicht.de: Wie ist das Studium an der HdBA aufgebaut und warum haben Sie sich für dieses entschieden?

KALLWASS: Das Studium ist ein duales Studium, das über drei Jahre geht und abwechselnd zehn Monate Theorie an der Hochschule in Mannheim und vier Monate Praxis im Jobcenter in Ulm beinhaltet. Zum einen werden die gesetzgeberischen Grundlagen vermittelt und zum anderen die Praxiserfahrungen gesammelt. Für das Studium habe ich mich ursprünglich entschieden, um in den Beruf des Berufsberaters einsteigen zu können, weil ich mich schon immer im sozialen Bereich einsetzen wollte. Mir sind aber schnell viele Ungerechtigkeiten gegenüber der Erwerbslosen aufgefallen: wie zum Beispiel der ständige Druck auf Betroffene.

Wie genau wird Druck auf die Erwerbslosen ausgeübt?

Es geht hauptsächlich darum, die Betroffenen möglichst schnell "loszuwerden", ihnen entweder einen beliebigen Job zu vermitteln oder sie in eine meist nicht notwendige Bildungsmaßnahme zu stecken. Dabei werden die Erwerbslosen unter Druck gesetzt, weil ihnen sonst Sanktionen, also Geldkürzungen drohen. Ebenso werden auch die Mitarbeiter dazu angehalten auf Controlling- und Indikatorenverfahren zu setzen. Die Hierarchie der Bundesagentur für Arbeit ist sehr stark ausgeprägt: Die Vorgaben kommen von oben und die Mitarbeiter müssen sich fügen. Der soziale Aspekt, den ich mir in meinem Job gewünscht habe, wurde immer mehr vernachlässigt. Aus dem Grund musste ich irgendwann abwägen, ob der Job oder mein Gewissen Vorrang hat.

Wie sind Sie dann vorgegangen?

Ich wollte mein Wissen mit der Öffentlichkeit teilen. Ich habe die Geschichte der ehemaligen Jobcenter-Mitarbeiterin Inge HANNEMANN und die ihres Blog verfolgt, was mich dazu bewegt hat selbst aktiv zu werden. Ich habe Flugblätter verfasst und am Campus verteilt, dies führte zu der ersten Abmahnung seitens der Bundesagentur für Arbeit. Mir wurde Illoyalität gegenüber meinem Arbeitgeber unterstellt. Umso größer wurde mein Wunsch mehr Aufmerksamkeit auf dieses Thema zu lenken, also startete ich einen Blog. Ich begann mit regelmäßigen kritischen Beiträgen über die Gesetzgebungen im Hartz IV-System und den Umgang mit den Betroffenen. Drauf reagierte die Agentur für Arbeit in Ulm mit einer zweiten Abmahnung. Davon ließ ich mich aber nicht aufhalten und verfasste ein zweites Flugblatt, das ich in einem E-Mail- Verteiler an die Mitarbeiter von der Agentur für Arbeit und an meine Kommilitonen schickte. Daraufhin kam am 23. Januar 2014 die Kündigung.

Wie haben Sie auf die Kündigung reagiert?

Mir war schon länger klar, dass es dazu kommen kann, also war ich nicht überrascht. Ich bin nicht rechtlich gegen die Kündigung angegangen, weil ich mich mit diesen Vorgehen nicht mehr identifizieren konnte und den Job nicht mehr ausüben wollte. Außerdem würde ein Gerichtsverfahren nichts an der Situation ändern, weil es schon zwei Abmahnungen gab. Als ich arbeitslos wurde und Arbeitslosengeld beantragen wollte, bekam ich eine Sperrzeit von drei Monaten. Das wiederum wollte ich nicht so hinnehmen und klagte dagegen an. Das Verfahren läuft heute noch, sieht aber nicht vielversprechend aus, weil mir die Schuld für die Kündigung gegeben wird.

Wie haben Ihre Kommilitonen und Ihre Arbeitskollegen auf Ihre Einstellung reagiert?

Es gab viele Diskussionen sowohl in meinem Arbeitsumfeld als auch an der Hochschule. Die Meinungen waren ziemlich gespalten. Einige konnten verstehen warum ich so handle und andere warfen mir ebenfalls Illoyalität gegenüber meinem Arbeitgeber vor. Nach meinem zweiten Flugblatt, in dem ich die Sanktionspraktiken stark kritisierte, bekam ich weniger Zustimmung. Vielen sind die Auswirkungen der Sanktionen auf die Menschen egal, nur wenige wollen sich mit der Thematik beschäftigen. Jedoch gibt es durchaus Kommilitonen, die immer noch den Kontakt zu mir pflegen und mich somit unterstützen.

Wie sieht die jetzige Situation bei Ihnen aus und was haben Sie in der Zukunft vor?

Durch die hohe Aufmerksamkeit, die mein Blog auf sich zog, sehe ich meine Aufgabe die Menschen über die Missstände des Hartz IV-Systems zu informieren, als erledigt an. Deshalb werde ich meinen Blog nur eingeschränkt weiterführen und vielleicht an jemand anderen übergeben, oder eine Art Austauschportal daraus machen, damit sich die Betroffenen untereinander vernetzen können. Mein Wunsch wäre es ein anderes Studium oder eine Ausbildung im sozialen Bereich zu machen.