Guido STRACK's ganzer Fall im Überblick

Ein nicht enden wollender Fall. Er steht in der bekannten EU-Tradition permanenter Schummeleien und unendlicher Selbstbedienung. Und dem nicht vorhandenen Willen und nicht vorhandenen Druck, solche Unregelmäßigkeiten auch aufklären zu wollen.

Vorbemerkungen:

    • Die "EU" ist weit weg von den Bürgern. Und auch weit weg von den Medien, weil sich die Bürger nicht sonderlich interessieren für diesen intransparenten Bürokratiemoloch. Geradezu ideale Bedingungen für Schummeleien und der sicheren Erwartung für die Akteure, dass Aufklärung stattfinden muss
    • Der kurze Einführungstext entspricht dem Portrait des Whistleblowers Guido STRACK, das derzeit in der (Foto)Ausstellung "Whistleblowing - Licht ins Dunkel bringen" im Berliner Kunsthaus Tacheles zu sehen ist. Zusammen mit 22 anderen Beispielen.
    • Nach der Anhörung lässt sich das alles immer noch anschauen, dann in der Mediathek der EU.
    • Wir dokumentieren zusätzlich zu diesem Fall hier weitere Informationen, die Sie auf der linken Navigationsleiste aufrufen können. Unter anderem eine ausführliche Chronologie und viele Dokumente zu dem nicht enden wollenden Fall.

Nach zwei juristischen Prädikatsexamen und einem Berufsjahr beim Bundeswirtschaftsministerium beginnt Guido Strack 1995 mit vielen Idealen seine Laufbahn als Beamter der Europäischen Kommission: im Amt für Veröffentlichungen in Luxemburg. Ab 2001 wird er zuständig für Rechtskonsolidierung. Das Mosaik von ca. 4.000 EU-Rechtstexten und deren Änderungen soll möglichst noch vor der großen Osterweiterung in 11 Sprachen zusammengesetzt und elektronisch verfügbar gemacht werden. Ein von Qualitätsansprüchen, Volumen, Zeit und neuer Technik her anspruchsvolles Projekt. 

Ausgeführt werden soll dies - nach Vergabeverfahren mittels öffentlicher Ausschreibung - von einem Privatunternehmen. Auf vorher festgelegter vertraglicher Grundlage und unter Maßgabe der Vorgaben und unter Kontrolle des Amtes

Aber Vorgaben zu Qualität, Volumen und Lieferzeitpunkten werden früh missachtet. Eigentlich hätte das Amt hier Zahlungen verweigern und Vertragsstrafen verhängen können, ja müssen. 

Strack fordert dies mehrfach. Das Problem: Das Unternehmen hat sich verkalkuliert und will nun nachträglich mehr Geld, um technisch nachzubessern und mehr Leute einstellen zu können. Strack wird erst ins Feuer geschickt, dann ausgebootet. Seine Vorgesetzten verhandeln jetzt direkt mit der Firma. Angebliche technische Innovationen werden zum Vorwand, um die Zustimmung eines Kontrollausschusses zu erreichen. Der Vertrag wird geändert, das Unternehmen bekommt für die gleiche Leistung deutlich mehr Geld, sogar rückwirkend für die verspäteten Lieferungen und für virtuelle Lieferungen. Vertragsstrafen werden nie verhängt. Die Grundidee des öffentlichen Vergabeverfahrens wird ad absurdum geführt

Strack hat genug, er sucht sich eine neue Stelle in einer anderen Generaldirektion. Aber sein Gewissen lässt ihm keine Ruhe. Parallel erlässt die EU-Kommission neue Regelungen zur Korruptionsbekämpfung. Sie gibt vor, aus den Fehlern der ehemaligen SANTER-Kommission, die 1999 wegen Vetternwirtschaft unter europaweitem öffentlichen Druck zurücktreten musste, gelernt zu haben: Sie kreiert die Anti-Korruptionsbehörde OLAF. Ab jetzt heißt es offiziell: ‚Null-Toleranz gegenüber Korruption’. Alle Beamten werden verpflichtet, finanzielle Unregelmäßigkeiten zu melden. Im Gegenzug sollen Whistleblower geschützt werden. 

Nicht so bei Strack. Mitte 2002 informiert er die neue OLAF über seine Beobachtungen und Einschätzungen. 18 Monate später bekommt er das Ergebnis der OLAF Ermittlungen: Einstellung ohne Notwendigkeit weiterer Maßnahmen. Keine näheren Erläuterungen, keine Begründung. 

Strack versteht die Welt nicht mehr. Im Einstellungsbeschluss, den Strack erst nach mehrmaligem Nachhaken erhält, finden sich keine Zweifel an seinen Aussagen, keine Finanzzahlen - OLAF hat weder die Leistungserbringung noch die Rechnungen überprüft. 

Stattdessen nur die pauschale Aussage, es sei um wirtschaftlich vernünftiges Handeln gegangen. Die 4 Millionen Schaden, die Strack geschätzt hat, schlagen bei OLAF mit 0,- EUR zu Buch

Strack zieht alle rechtlichen Register. Der EU-Ombudsmann konstatiert Fehlverhalten von OLAF. Die EU-Gerichte aber verweigern Strack die Klagebefugnis und die Überprüfung des OLAF-Einstellungsbeschlusses, heben aber die auf einmal deutlich schlechter gewordene Zeugnisbeurteilung auf. Ebenso die Entscheidung seiner Vorgesetzten, ihn nicht zu befördern. 

Strack informiert auch den OLAF-Überwachungsausschuss und die Präsidenten von Rechnungshof, Europäischem Rat und das EU-Parlament. Aber diese EU Institutionen prüfen nicht. Sie geben sich mit dem OLAF-Einstellungsbeschluss zufrieden, obwohl dieser nicht einmal eine rechtliche Prüfung enthält und Strack ein umfangreiches Rechtsgutachten vorlegt, das den Verdacht zahlreicher Straftaten begründet. Eine Strafanzeige erstatten darf er selbst nicht. Dafür braucht er eine Aussageerlaubnis der Kommission 

Für Strack bleibt dies alles nicht folgenlos. Er wird depressiv, seine Familie zerbricht. Strack wird 2005 dienstbedingt frühpensioniert - im Alter von 40 Jahren. Noch heute kämpft er um Dokumentenzugang, Aussageerlaubnis, Schadensersatz und Rehabilitierung. Es gibt 7 Ombudsmannentscheidungen zu seinen Gunsten. Doch die bewirken mangels Verbindlichkeit absolut nichts. Die Anti-Betrugsabteilung OLAF und die EU-Kommission mauern weiter. Auch sein Gesuch auf eine Mediation wird abgelehnt. 

Mehr als ein Dutzend Verfahren betreibt Strack vor den EU-Gerichten. Aber das EU-Gerichtssystem zermürbt klagende Beam-te schnell durch lange Verfahrensdauern sowie Verzicht auf Beweisaufnahmen – die EU-Gelder, die ‚verbrannt’ werden, sind aus der Sicht der EU-Bürger ‚weit weg’. 

Die Folge: Strack muss nach gewonnenen Gerichtsverfahren Anträge auf Urteilsumsetzung bei der Kommission stellen und danach teilweise erneut klagen. 

Strack gibt dennoch nicht auf. Er macht das Beste daraus: Strack wird Gründungsvorsitzender des Whistleblower-Netzwerks, das sich 2006 zusammenfindet und anderen Betroffenen weiterhelfen will.