Die Tricks der Arbeitsämter

nochmals zusammengefasst:

Mit jeder gelungenen Arbeitsvermittlung stieg das Ansehen der Direktoren der Bundesanstalt für Arbeit (BA). Auch ihre eigenen beruflichen Fähigkeiten wurden an ihrem "Vermittlungserfolg" gemessen. Zwischen den Mitarbeitern herrschte ein reger Wettbewerb. Wer die meisten Vermittlungen zustande bringen konnte, hatte gewonnen.Und Bernhard JAGODA freute sich, denn er konnte Erfolge vorweisen. Schließlich waren er und seine Behörde zuständig für über 50 Milliarden Euro im Jahr. An jedem Werktag also für runde 200 Millionen Euro.

Bei der Überprüfung durch den Bundesrechnungshof (BRH) stellte sich jedoch heraus, dass über 70 Prozent der Vermittlungen in Wahrheit doch keine waren. Anders gesagt: weniger als 30 Prozent der gemeldeten Vermittlungen hatten wirklich stattgefunden. Im Jahre 2001 sollten es – laut BA - 3,6 Millionen erfolgreiche Vermittlungen gewesen sein. Die Anzahl der Arbeitslosen lag zu diesem Zeitpunkt bei 3,8 Millionen Menschen. Wie passt das alles zusammen? Oder anders gefragt: wie kann man eine solche Masse von Zahlen fingieren?

Letztlich war alles ganz simpel. Wir fassen die gängigen Tricks nochmals zusammen. Sie wurden aus 3 Quellen bekannt:

  • der panorama-Sendung vom September 1998: ein Insider hatte anonym ausgepackt und die Redakteure hatten sich dies in einem Arbeitsamt vor laufender Kamera nachspielen lassen. Es hatte funktioniert
  • aus 2 Berichten der Illustrierten stern im Dezember 2001 (Ausgabe Nr. 50) sowie im Februar 2002 (Nr. 8). Wiederum hatte ein Arbeitsamt-Angestellter Informationen geliefert. Kaum war dieser kritische Bericht „Jobs? Dafür haben wir keine Zeit“ erschienen, meldeten sich weitere Mitarbeiter der BA aus ganz Deutschland in der Redaktion und berichten ebenfalls Details und Beispiele über die Tricks und Lügen aus der „Nürnberger Fälscherwerkstatt“. Der stern legte mit einer zweiten Geschichte nach: „Jetzt fliegt alles auf“.
  • Und letztlich durch den Arbeitsamts-Revisor aus Rheinland-Pfalz Erwin BIXLER, der – nachdem der Bundesrechnungshof zu gleichen Ergebnissen gekommen war, diese aber nicht veröffentlichte – seine Informationen an den Bundesarbeitsminister Walter RIESTER weitergeleitet hatte.

Dies war im Februar 2002. Es war der Monat, in dem der Skandal seinen Höhepunkt erreichte, weil alles öffentlich wurde.

Hier die gängigen Tricks:

Trick 1: Das „ fiktive SteA“

In den von den Mitarbeitern der BA genutzten Computermasken befanden sich Stellendateien, die mit dem Vermerk versehen waren: „Achtung: Bitte keine Vermittlungsvorschläge unterbreiten, da dies ein fiktives Stellenangebot ist“.

Dies war kein Geheimnis und für jeden Mitarbeiter im Arbeitsamt zugänglich. Sämtliche Führungskräfte der BA und sogar der ehemalige Präsident Bernhard J wussten im Prinzip Bescheid.

Und so wurde es praktiziert:

Ein Arbeitsvermittler erfindet ein Stellenangebot und gibt es in den Computer ein. Ein Arbeitsloser meldet sich aus der Arbeitslosigkeit ab - möglicherweise hat er selbst einen Job gefunden, oder er ist in Rente gegangen. Dann bringt der Vermittler die erfundene Stelle und den nicht mehr Arbeitslosen zusammen und meldet eine erfolgreiche Vermittlung.

Trick 2: Der Toten-Trick:

Obiges Beispiel funktioniert auch mit Verstorbenen, wenn sie auf ein erfundenes Stellenangebot vermittelt werden. Der Vermittler bringt die erfundene Stelle und den nicht mehr arbeitslosen Toten zusammen und meldet eine erfolgreiche Vermittlung.

Trick 3: Der Nikolaus-Trick

Eine Arbeitsvermittlerin aus Niedersachsen berichtete z.B. dem stern, dass sie die höchsten Vermittlungsergebnisse stets am Nikolaustag erziele. Grund: die zahlreichen Studenten, die als Nikolaus verkleidet Häuser mit Kindern abklappern. Jeder Nikolaus, den eine Familie einmalig beim Arbeitsamt bestellt, wird als erfolgreiche Vermittlung vermerkt - mehrere Nikolausbesuche durch einen einzigen Nikolaus ergaben dann auch mehrere erfolgreiche Stellenvermittlungen.

Trick 4: Der Helfer-Trick

Einen Vermittler aus Nordrhein-Westfalen empörte es seit Jahren, dass die Saisonarbeiter, meist Erntehelfer aus Osteuropa, als Vermittlungen
gezählt wurden. Und dies obwohl der Bauer sie selbst suchen musste. Die deutschen Arbeitgeber mussten für die Arbeiter beim Arbeitsamt eine Arbeitserlaubnis beantragen und bereits zu diesem Zeitpunkt den Namen des Helfers angeben. Es musste also niemand mehr gesucht und vermittelt werden. Trotzdem zählten die Ämter jede hierfür erteilte Erlaubnis als eine eigene Arbeitsvermittlung. Macht immerhin 250 000 Erfolgsmeldungen im Jahr.

Trick 5: Nachträgliche Stellenausschreibungen

In der Außenstelle eines nordrhein-westfälischen Arbeitsamtes wurden Vermittlungserfolge durch nachträgliche Stellenausschreibungen erfunden.

Ulrike B., eine Mitarbeitern, berichtete in der stern-Ausgabe Nr. 8/2002: "Wenn bei uns zum Beispiel ein arbeitsloser Koch anruft und sagt, er hat nach eigener Suche in einem Hotel einen neuen Job gefunden, dann registrieren wir das als unseren eigenen Vermittlungserfolg". Nachträglich wird nämlich eine Stellenausschreibung des Hotels in den Computer eingegeben, wie gemacht für den arbeitslosen Koch. Schnell die Besetzung der Stelle eingeben und fertig ist der Vermittlungserfolg. "Damit kriegen wir 40 Prozent unserer Vermittlungen hin."

Trick 6: Stellenanzeigen der Tageszeitungen

Ein anderer Vermittler aus Süddeutschland, Klaus W., der bereits viele Jahre im Dienst gewesen ist, erzählte der stern-Redaktion (Nr. 8/2002)von einem Trick, der in jedem ihm bekannten Arbeitsamt praktiziert wurde.

Und damit meinte er folgendes: Der zuständige Mitarbeiter eines Arbeitsamtes überprüft täglich die Stellenanzeigen der Tageszeitungen. Er findet eine Annonce, ruft dort an und fragt, ob er diese Stelle auch im Arbeitsamtscomputer eintragen dürfe, selbstverständlich kostenlos. Einzige Bedingung ist, dass der Arbeitgeber anrufen soll, sowie die Stelle vergeben ist. Der Großteil der suchenden Betriebe ist einverstanden. Einige Zeit später ruft der potenzielle Arbeitgeber an, um mitzuteilen, dass die Stelle nun besetzt sei. „In dem Moment konstruieren wir eine Vermittlung.“ erzählt Klaus W..

Gleiches geschah mit Zeitarbeitsfirmen: man ruft an, um zu erfahren, welche Stellen sie zu besetzen haben. Sowie eine Stelle als vergeben gemeldet wurde, kann sich das Arbeitsamt wieder bis zu über 20 Vermittlungen (je nach Anzahl der Zeitarbeitsfirmen) für denselben Job gutschreiben.

Klaus W. gab außerdem preis, dass sogar schriftliche Dienstanweisungen existierten, dass Stellangebote aus der Arbeitsamtdatei nicht storniert werden dürfen. Von Rechts wegen müssten Arbeitsangebote storniert werden, wenn die entsprechenden Stellen nicht durch eine Vermittlung des Arbeitsamtes besetzt wurden. Klaus W.: „In dem Fall müssen wir irgendwie eine Vermittlung erfinden. Das ist Anweisung.“.

Zum Hintergrund der jahrelangen Manipulationen:

Die meisten Informanten, die gezielte Hinweise auf diese Fälschereien gegeben hatten, sind anonym geblieben. Nur Erwin BIXLER wagte sich an die Öffentlichkeit, nachdem interne Versuche erfolglos blieben, dieses Problem zu lösen.
Insgesamt waren es etwa 15 Personen, die Informationen dazu weitergegeben hatten: an panorama und den stern.
15 Informanten von insgesamt rund 90.000 BA-Angestellten sind 0,02%. Die große Masse der Angestellten – also 99,08% - hat geschwiegen. So wird verständlich, dass diese Tricksereien über Jahre Standard, sprich Normalität bei den Arbeitsämtern bleiben konnten.

(JTel)

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