Kritiker in Großbritannien: Tierärztin Marja Liisa HOVI

Die Finnin Marja Liisa HOVI ist eine gut ausgebildete Veterinärin, die fünf Sprachen spricht und ihr Studium in Finnland und Großbritannien absolviert hat. Zur Zeit der hier besprochenen Vorfälle war HOVI Mitglied der britischen Standesvertretung der Veterinäre (dem Royal College of Veterinary Surgeons, kurz RCVS) und vom britischen Agrarministerium (Ministry of Agriculture, Fisheries and Food, kurz MAFF) zur Amtstierärztin („Official Veterinary Surgeon“, kurz OVS) für rotes Fleisch bestellte Veterinärin. Sie hatte damals bereits an zwei großen Exportschlachthöfen in Finnland und Simbabwe als Amtstierärztin (OVS) gearbeitet, als sie sich Anfang 1994 nach einer Beschäftigung in der Region rund um Bristol umsah (HIGH COURT 1995, S. 3-4; 7).

HOVI stellte sich bei den großen lokalen Veterinärpraxen vor, die Fleischhygiene-Dienstleistungen anboten. Zur selben Zeit etwa schrieben die lokalen Behörden von Kingswood Borough Council einen Auftrag über die Erbringung der amtstierärztlichen Dienstleistungen („official veterinary surgeon services“) beim Bristoler Hochleistungs-Exportschlachthof Alec JARRETT LTD aus. Weil diese Ausschreibung den Einsatz einer erfahrenen Fachkraft vorsieht, stellen ihr gleich mehrere Praxen eine Anstellung in Aussicht, denn die Praxen bewerben sich alle um den lukrativen Auftrag beim Exportschlachthof (vgl. HIGH COURT 1995, S. 7)

Am 05. April 1994 tritt HOVI in den Dienst von EVILLE and JONES (36 Market Place, Bolsover in Chesterfield/ Großbritannien), die die Ausschreibung des Councils für sich gewinnen konnten (vgl. HIGH COURT 1995, S. 3). In Vorbereitung auf ihren Dienst bei JARRETTS verbringt sie einen Tag bei den lokalen Behörden. Sie wird vom Environmental Health Officer Les WILD war und dem Senior Meat Inspector, David WHITE, über die Situation am Schlachthof Alec JARRETT Ltd. und über die an sie gerichteten Erwartungen informiert. HOVI versteht, dass es ihnen vor allem um eine Verbesserung der Hygienestandards bei JARRETTS geht (vgl. HIGH COURT 1995, S. 7-8).

Als “OVS“ („Official Veterinary Surgeon“) obliegt ihr im Schlachthof die Verantwortung für die Einhaltung und Durchsetzung der vorgeschriebenen Standards in Bezug auf Hygiene, Tierschutz, Gesundheitskontrolle des Schlachtviehs sowie die Überprüfung des Fleischs auf Krankheiten. Diese Zuständigkeit besteht auch dann noch, wenn die dazu nötigen Arbeiten an andere Mitarbeiter, wie z.B. den Fleischinspektoren am Förderband, übertragen werden. Die OVS ist also auch in Abwesenheit für das Geschehen im Schlachthof verantwortlich (vgl. HIGH COURT 1995, S. 10-12). HOVI ist sich ihrer Verantwortung bewusst und nimmt sie sehr ernst (vgl. HIGH COURT 1995, S. 9).

Im Exportschlachthof JARRETTS werden zum Beginn von HOVIS Einsatz ungewöhnlich viele Rinder geschlachtet; bis zu 200, phasenweise sogar 300 Milchkühe täglich. Die Anzahl der Rinderschlachtungen sowie die Geschwindigkeit der Schlachtbänder sind zu diesem Zeitpunkt erhöht. Ziel ist es, die Auslastung des Schlachthofs aufrecht zu halten, da es zu dieser Zeit ein Defizit an preiswerten Schlachtlämmern gibt (vgl. HIGH COURT 1995, S. 21).

Es  gehört zu HOVIS Pflichten, Zertifikate auszustellen, damit das Rindfleisch in den Export gehen darf. Dazu müssen HOVI als „OVS“ alle Begleitpapieren des Schlachtviehs vorliegen, in denen bestätigt wird, dass die Kühe aus Herden stammen, in denen seit zwei Jahren kein BSE-Fall aufgetreten ist. Das als unbedenklich deklarierte Fleisch geht dann vor allem nach Frankreich; aber auch nach Italien, Irland und in die Niederlande (vgl. DETHLEFS/DOHNS 1996, S. 61f.). JARRETTS ist zudem Zulieferer für McKay, einem Fleischlieferanten von McDonald‘s (vgl. HIGH COURT 1995, S. 39).

HOVI fällt auf, dass ein großer Teil der Rinderherden, rund 50 Prozent, mit unzureichenden Begleitpapieren im Schlachthof ankommt  (vgl. HIGH COURT 1995, S. 56f., 59; vgl. DETHLEFS/DOHN 1996, S. 61). Sie weiß, dass das Prinzip der mangelhaften Herkunftsnachweise in Großbritannien verbreitet ist und seine Ursache in der hiesigen Viehhandelspraxis hat. Das Schlachtvieh wird häufig nicht direkt vom Hof an die Schlachthöfe verkauft, sondern von Händlern auf verschiedenen Höfen/Farmen zusammengekauft. Die verkaufen die Tiere dann in großen Chargen an die Auktionatoren der Viehmärkte weiter. Auf diesen Weg geht häufig die Identität der Rinder verloren. Denn obwohl jedes Rind ab seiner Geburt eine Ohrenmarke mit Identitätsnachweis bekommt, erhält es im Falle eines Besitzerwechsels häufig eine neue Ohrenmarke. Diese Nummern sind zumeist nur fortlaufend und kombiniert um die Herdennummer des neuen Besitzers (vgl. HIGH COURT 1995, S. 58).

Darüber hinaus sind neue Ohrenmarken auch bei den Händlern der Auktionen beliebt, da sie kürzer und größer als die Originalnummern sind. Sie können auch aus großer Entfernung besser gelesen werden als die kleinen originalen Metallmarken. Gerade Auktionatoren benutzen deshalb bevorzugt neue Marken. Wenn das Schlachtvieh dann zu JARRETTS kommt, steht in den Papieren häufig nur noch die Nummer der neuen Ohrenmarke. Die ursprüngliche Herkunft des Tieres lässt sich somit nicht mehr oder nur noch mühsam ermitteln, erklärt HOVI 1995 auch vor Gericht:

So if an animal comes from a market into Jarretts, is it true that the only information you would know about that animal is which market it came from?
[Antwort HOVI:] Which auctioneer and market, yes. Then it would probably be possible on the basis of paperwork from the auctioneer to trace back to the person who sold the animal” (HIGH COURT 1995, S. 58).

HOVI ergänzt, es habe auch kein Interesse seitens JARRETTS bestanden, die Herkunft der Tiere zu ermitteln (vgl. HIGH COURT 1995, S. 58). Da Marja Liisa HOVI so keinen eindeutigen Herkunftsnachweis hat, anhand dessen sich belegen lässt, dass das jeweilige Tier aus einer Herde kommt, in der seit zwei Jahren kein BSE-Fall aufgetreten ist, sieht sie sich  außer Stande, die für die Exportfreigabe nötigen „BSE-free herds certificates“ zu unterschreiben (vgl. HIGH COURT 1995, S. 57; DETHLEFS/DOHNS 1996, S. 61f.). Folge: Sie gerät unter Druck:

I was not provided with any kind of documentation to be able to make the certification. This was completely against the Royal College of Veterinary Surgeons' certification guidelines and against the guidelines and circulars of the Ministry of Agriculture. I was in a position where I either had to sign false export certificates or refuse to sign them at all“ (HIGH COURT 1995, S. 57).

Ihr Widerstand, Tiere ohne gültigen Herkunftsnachweis nicht mit Exportzertifikaten auszustatten, sowie ihr Engagement zu Einführung besserer Hygienestandards bei JARRETTS wird HOVI zum Verhängnis. Dabei geht sie die Probleme im Exportschlachthof offensiv an. Sie sucht das Gespräch mit dem Schlachthof-Management und dessen Leitung, Robert JARRETT. Dabei hat sie durchaus den Eindruck, dass das Management ihren Einwänden und Vorschlägen gegenüber offen ist und nach Lösungen sucht, vor allem, was die Verbesserung der Hygienestandards betrifft (vgl. HIGH COURT 1995, S. 36; 56f.).

Kurz darauf nimmt ihr Arbeitgeber der Tierarztpraxis  EVILLE und JONES, Robert JONES (vgl. HIGH COURT 1995, S. 56), Kontakt zu ihr auf, um sie umzustimmen, was die Unterzeichnung der Exportfreigaben betrifft. Marja HOVI zögert; sie kommt aus Finnland, hat Angst um ihre Zulassung als amtliche Veterinärin und ihre Aufenthaltserlaubnis. Außerdem empfindet sie Verantwortung für die Konsumenten (vgl. DETHLEFS/DOHNS 1996, S. 61f.).

JONES ruft sie nun mehrmals am Tag an. Er sagt ihr, jeder Veterinär würde diese Zertifikate unterschreiben, ihr Vorgänger habe das auch gemacht. Schließlich sucht Robert JONES  HOVI abends zu Hause auf und redet stundenlang auf sie ein, um sie zu den Unterschriften zu bewegen. Er argumentiert, dass der Schlachthof durch ihre Weigerung in Schwierigkeiten komme und dass andere Schlachthöfe dadurch bevorteilt würden, weil diese ja weiterhin die nötigen Zertifikate bekämen und exportieren könnten. Des Weiteren behauptet Robert JONES, dass sich das Ministerium „nichts daraus mache“ (vgl. DETHLEFS/DOHNS 1996, S. 62).

Dass das MAFF von langjährigen massiven Hygienemängel bei JARRETTS Bescheid weiße und diese in Hinblick auf zukünftige Verbesserung schon die ganze Zeit duldete, hatte HOVI bereits der Korrespondenz zwischen ihrem Vorgänger, der MAFF und der Geschäftsleitung von JARRETTS entnommen:

I would like to further state that in spite of being an EC approved abbatoir and cutting plant Alec Jarrett Ltd was operating under conditions that are a far cry of the EC legislation standards and was allowed to do so by the Inspectors of the Ministry of Agriculture on conditions that extensive improvements be made in the near future. It was obvious from the past correspondence between the previous Official Veterinary Surgeon, the plant management and the MAFF officials that this unacceptable situation concerning the hygiene standards and the structural deficiencies had been prevalent for several years" (McINFORMATION 1996).

Aber die laxe Einstellung im Umgang mit den „bse-free herd certificates“ macht ihr zu schaffen. HOVI nimmt Kontakt zum regionalen Vertreter des Ministeriums auf und spricht die Missstände im Umgang mit den Zertifikaten an. Sie erhält folgende Antwort:

„Verstehen Sie eigentlich nicht, dass Sie mit Ihrem Verhalten die Preise verderben?“(DETHLEFS/DOHNS 1996, S. 62).

Trotzdem und mit Rücksicht auf die Verbraucher, weigert sich HOVI weiterhin die Unterschriften zur Exportfreigabe des Rindfleischs zu leisten (DETHLEFS/DOHNS 1996, S. 62).Am Freitag, den 29. April 1994 erhält sie nachmittags gegen vier Uhr einen Anruf von ihrem Arbeitgeber, Robert JONES. Er erklärt, dass EVILLE and JONES ihren Vertrag mit dem Council verlieren, wenn man sie weiterhin beschäftige. Das könne man sich nicht leisten. Deshalb müsse sie gehen, so ihre Erinnerung:

My employer, Robert Jones, phoned me and said they could not, they felt that if I stayed on they would lose their contract and they could not possibly afford to do that, so they would let me go“ (HIGH COURT 1995, S. 56).

Auf HOVIS Nachfrage hin erklärt JONES, dass das Council gedroht habe den Vertrag zu kündigen, es sei denn HOVI gehe. Warum, will HOVI wissen und bekommt von JONES die Antwort:

Because you have dealt with sensitive subjects“ (HIGH COURT 1995, S. 56).

Diese „sensiblen Themen“ waren ein Kühlproblem und HOVIS Weigerung, Rinder ohne ausreichenden Herkunftsnachweis mit „bse-free herds certificates“ auszustatten. Trotz des Drucks in den letzten Wochen, rechnete HOVI nicht mit einer Kündigung. Hatte sie doch noch in der letzten Woche konstruktive Gespräche mit dem Management von JARRETTS geführt und war optimistisch, die Probleme in den Griff zu bekommen. Sie war offen für Übergangslösungen, was das Kühlungsproblem betraf, nicht jedoch, was die „bse-free herd certificates“ ohne korrekten Herkunftsnachweis anging (vgl. HIGH COURT 1995, S. 56). Schließlich macht JONES ernst: keine vier Wochen nach Stellenantritt wird die OVS Marja Liisa HOVI von ihrem Arbeitgeber EVILLE and JONES gekündigt.

Sie wendet sich am darauffolgenden Tag an ihre Standesvertretung, dem Royal College of Veterinary Surgeons. Man rät ihr, eine schriftliche Aussage über die Vorgänge zu machen. HOVI will fair sein und informiert ihren bisherigen Arbeitgeber über ihr Vorhaben. Eine Woche später erhält sie daraufhin ein Kündigungsschreiben der Veterinärpraxis EVILLE and JONES, dessen Begründung deutlich von der ihr am Telefon mitgeteilten Begründung abweicht (vgl. HIGH COURT 1995, S. 57). Jetzt heißt es, HOVI sei gekündigt worden, weil sie:

„… darin versagt habe, eine gute Beziehung zum Schlachthofbesitzer herzustellen“ (DETHLEFS/DOHN 1996, S. 62f.)

Marja Liisa HOVI sendet das angekündigte Schreiben an ihre Standesvertretung, doch Verbandpräsident Neil KING reagiert monatelang nicht darauf. Erst auf erneutes Nachfragen seitens Marja Liisa HOVI und Vorlage einer von ihr zusammengestellten Dokumentation, wird KING aktiv und schreibt einen Brief an den damaligen MAFF-Minister WALDGRAVE, indem er erklärt:

"Die Aussagekraft des offiziellen Zertifikats der Veterinäre, so scheint es, ist durch unzureichende Disziplin und weitgehende Umgehung vorhandener Kontrollen in der Fleischbeschaffung erheblich beeinträchtigt." In diesem "politisch und ökonomisch sensiblen Bereich", so KING müsse der Minister "rasch eine Lösung finden" (STOLLORZ 1995).

Obwohl Verbandspräsident Neil KING durch Marja Liisa HOVI über das Verhalten ihres ehemaligen Arbeitgebers und dessen Verstöße gegen britisches und EU-Recht informiert wurde, leitet er kein standesrechtliches Verfahren ein. Der Rechtsbruch bleibt für die Verantwortlichen folgenlos (vgl. DETHLEFS/DOHN 1996, S. 63). Immerhin, 19 Monate nach HOVIS Entlassung und ihrem Brief an das Royal College of Veterinary Surregons, kommt es zu einer Verurteilung im Rahmen kriminellen „Re-taggings“:

David KING, einer der größten Viehhändler Westenglands, wird in sechs Fällen für schuldig gesprochen, Rinder von verschiedenen Märkten im Westen des Landes durch sogenanntes „Re-tagging“, d.h. der Vergabe von neuen Ohrenmarken zur Verschleierung ihrer wahren Herkunft, zu Tieren aus BSE-freien Herden erklärt zu haben. Er erhält eine Geldstrafe von 30.000 Pfund und muss die Kosten des Verfahrens in Höhe von 18.500 Pfund tragen. Staatsanwalt Martin MEEKE wirft KING vor, für „ein paar Silberlinge“ die Bauernschaft verraten zu haben (vgl. INDEPENDENT 1995).

Marja HOVI tritt einen Monat nach ihrer Entlassung bei EVILLE and JONES eine siebenmonatige Vertretungsstelle als Veterinärinspektorin („Veterinary Inspector“) des Agrarministeriums im Gloucester Animal Health Office an. Danach zieht sie mit ihrem Mann von Bristol nach Reading, wo sie im Mai 1995 im Commonwealth Bureau of Agriculture eine Stelle als Information Officer antritt (vgl. McINFORMATION 1996, S. 4). Schließlich wendet sie sich der wissenschaftlichen Arbeit zu und promoviert im Jahr 2003 an der University of Reading mit einer Arbeit über die Krankheit Mastitis bei Kühen (vgl. HOVI 2003).

 

(GM)

 

Quellen: 

DETHLEFS / DOHN 1996
DETHLEFS, Kay; DOHN, Norbert: Das BSE-Kartell : Die vertuschte Gefahr und wie man sich schützen kann. Reinbek bei Hamburg, 1996.
HIGH COURT 1995
HIGH COURT OF JUSTICE (QUEEN'S BENCH DIVISION): McDonald's gegen Steel und Morris (Fall Nr. 1990-M-NO. 5724). Transkript der Gerichtsverhandlung vom 30.03.1995 am Londoner High Court. Den Vorsitz hat Richter Justice BELL. In der Verhandlung wird Marja Liisa HOVI als Zeugin vernommen. 
Das Transkript ist online abrufbar unter folgender URL: http://www.mcspotlight.org/cgi-bin/zv/case/trial/transcripts/950330/01.htm Stand: 1996-02-16, Abruf: 2015-04-10. 
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McINFORMATION 1996
McINFORMATION NETWORK: McSpotlight. Witness StatementMarja-Liisa Hovi. Stand: 1994-12-04. Website, online abrufbar unter URL:http://www.mcspotlight.org/people/witnesses/food_poisoning/hovi_marja-liisa.html Abruf: 2015-03-11
HOVI 2003
HOVI, Marja-Liisa: Approaches to Mastitis control in well-established organic dairy herds in England and Wales. Thesis (Ph.D.) - University of Reading, 2003
INDEPENDENT 1995
THE INDEPENDENT: Cattle dealer fined. In: The Independent, 01.11.1995. Online abrufbar unter URL:http://www.independent.co.uk/news/cattle-dealer-fined-1536706.html Abruf: 2015-03-11
STOLLORZ 1995
STOLLORZ, Volker: Die Rindfleisch-Connection In: DIE WOCHE, 21.01.1995, S. 26