"Ignatz is back"

Vorbemerkung

In (fast) jeder Stadt finden sich Spuren der Vergangenheit. Manche sind durch das Desaster und das Ende des "totalen Kriegs" völlig verschüttet, einige übertünscht, diese und jene noch zu sehen. Manchmal auch nur zu erahnen.

In Berlin gibt es ausgesprochen viele Spuren und Erinnerungen. Das hängt zum einen mit der Größe und der Metropolenfunktion zusammen, zum anderen auch damit, dass gerade in der kulturell quirligen Weltstadt, die gleichzeitig ein bedeutender Industriestandort war und ebenso eine Stätte der Wissenschaft, viele Deutsche jüdischen Glaubens lebten.

In der Hauptstadt Berlin erinnern einige Orte an die Zeit des nationalsozialistischen Terrors. Z.B. die Gedenkstätte "Topographie des Terrors" in der Prinz-Albrechtstrasse nahe am Potsdamer Platz oder das "Haus der Wannseekonferenz". Diese beiden sind z.B. 'offizielle' Gedenkstätten, arrangiert von der Politik.

Die über 8.500 "Stolpersteine", die es in der Stadt gibt und die an Verfolgte des Nationalsozialismus erinnern, gehen auf private Initiativen der Zivilgesellschaft zurück. Einen Ort, an dem eine Auseinandersetzung darüber stattfinden könnte, dass das "Dritte Reich" nicht nur aus einzelnen "Nazis" bestand, sondern aus der Mehrheit der "arischen Deutschen", gibt es nicht. Und auch sonst so gut wie keine Erinnerung an viele ehemals jüdische Geschäfte oder Unternehmen.

Auch nicht an Ignatz NACHER und seine Engelhardt-Brauerei. Nur 2011 gab es ein solches Gedenken. Wie es zustande kam, wie es ablief und was sich daraus ergeben hatte, schildert die Bibliothekarin der "Versuchs- und Lehranstalt für Brauerei in Berlin" (VLB), Michaela KNÖR.

Michaela KNÖR hatte einen Hund. Und mit dem ging sie regelmäßig spazieren. Weil sie in der Nähe des ehemaligen Brauereigeländes in Berlin-Pankow wohnt, auch dort entlang. Bis sie eines Tages im Jahr 2010 neugierig wurde. Und sich in einen der beleuchteten Räume in dem ehemaligen und größtenteils leerstehenden Verwaltungsgebäude wagte.

Hier ist ihr Bericht aus dem Jahr 2020, wie es zur Aktion "Ignatz is back" gekommen war:


"Ignatz is back"

Aufgeschrieben von Michaela KNÖR, Berlin, im Mai 2020

Schon bald nachdem ich 2004 mit meiner Familie vom Prenzlauer Berg nach Pankow Süd umgezogen war, entdeckte ich den etwas trist und verloren wirkenden Gebäudekomplex  in meiner Nachbarschaft. Schnell fand ich aufgrund meiner beruflichen Tätigkeit heraus, dass hier im Karree zwischen Spiekermannstrasse sowie Thule- und Neumannstraße einmal die  Abteilung  Pankow der Engelhardt Brauerei beheimatet gewesen ist.  Von der Brauerei war von außen eigentlich nichts mehr zu erkennen. In den fast 60 Jahren, die seit dem Zeitpunkt als hier noch Bier hergestellt wurde, vergangen waren, hatte sich einiges auf dem Gelände verändert. 

Aus der braugeschichtlichen Bibliothek  in der ich als Bibliothekarin arbeite, kannte ich aber diese bildliche Darstellung des Brauereigeländes, die nach 1905, aber vor den 20iger Jahren entstanden sein musste:

So wusste ich im Unterschied zu den meisten anderen Nachbarn zumindest etwas über die weiter zurückliegende Geschichte dieses Ortes und seiner Gebäude. 

In dem zur Thulestraße hin liegenden ehemaligen Verwaltungsgebäude der Brauerei befand sich zum aktuellen Zeitpunkt am linken Ende auf diesem Bild im Hochparterre eine "Muckibude", die Räume am westlichen Ende beherbergte. Und bis  etwa 2017 eine Kindertagesstätte, die auch das Pförtnerhäuschen (kleines einstöckiges Gebäude rechts und den herrlich verwunschenen Garten hin zur Neumannstraße nutzte: auf dem alten Stich als runder Rasen zu sehen, der von Bäumen umgrenzt wird.

Im hinteren Gebäuderiegel, wo einst das Sudhaus und das Fasslager gewesen war,  hatte sich die Firma GAB eingemietet, bei der man gebrauchte Dinge abgeben und/oder für einen schmalen Taler kaufen konnte.  Östlich am Hauptgebäude, also ganz links auf dem Stich, erstreckte sich ein eingeschossiger Backsteinziegelbau bis um die Ecke und weit in die Talstraße hinein. Der Backsteinbau in der Thulestraße war Sitz eines Autohauses und an der Ecke und in die  Talstraße hinein gab  es ein oder zwei kleine "Autoschrauber". Ein angrenzender "Schnellbau" nach 1989 wurde erst als Bürogebäude und später als Asylbewohnerheim genutzt und das im Innern des Gelände liegende große Gebäude wurde zu Wohnzwecken genutzt. Im Innenhof, auf den ich mich beim "Gassi gehen" mit unserem Hund "Doni" hin und wieder schlich,  standen noch einige schon etwas baufällige  eingeschossige Stallgebäude aus roten Ziegelsteinen.

Um das Jahr 2008 herum wurde es auf dem Gelände stiller und trister, das Fitnessstudio machte dicht und das langstreckte dunkelgraue Gebäude wirkte jetzt noch trister als zuvor und bei meinen "Gassi-Runden" dachte ich oft darüber nach was Ignatz NACHER, der ehemalige Direktor dieser Brauerei, wohl sagen würde, wenn er seine Brauerei jetzt so sehen würde.

Zur Geschichte der  Engelhardt-Brauerei Abteilung-Pankow hatte ich inzwischen etwas gründlicher recherchiert und war  hierbei durch das Buch "Enteignung, Boykott und Mord" von Johannes LUDWIG auch auf die tragische Lebensgeschichte NACHER's gestoßen, der die Engelhardt-Brauerei "groß" gemacht hatte und dessen Name und Lebensleistung in Berlin und selbst hier an einem Ort seines früheren Wirkens  gänzlich in Vergessenheit geraten war.

Während ich bei meinen abendlichen Runden mit "Doni" darüber sinnierte, wie sich dies ändern ließe, entdeckte ich eines Abends, dass die Räume im 1. Stock des Verwaltungsgebäudes erleuchtet waren und ein paar Fahnen mit dem Schriftzug "HomeBase" aus dem Fenster hingen. Ein paar Tage später hingen am Hoftor und an der Gartenmauer auch kleine Plakate, die auf die eine Ausstellung der Künstlergruppe HomeBase aufmerksam machte, die jetzt in diesem Gebäude Räume bezogen hatte.

Das war der Anstoß auf den ich wohl gewartet hatte. Ich beschloss, die Künstlergruppe sobald als möglich zu besuchen.

Gedacht, getan und so betrat ich an einem der nächsten Abende die erleuchteten Räume im 1. Stock des Gebäudes und fragte mich zu der amerikanisch-israelischen Leiterin des Projekts, Anat LITWIN, durch. Ich stellte mich vor und fragte sie, ob sie wisse, dass dieses Gebäude einmal Teil einer Brauerei gewesen ist und ob sie die Geschichte von Ignatz NACHER kenne.

Sie verneinte beides und bat mich, mehr von der Brauerei und diesem Ignatz zu erzählen. Daraus entwickelte sich ein langes Gespräch über die Engelhardt-Brauerei, Bier, Kunst und über Leben und Werk von Ignatz NACHER. Am Ende war uns beiden klar, dass seine Geschichte erzählt werden und im Rahmen einer Veranstaltung bekannt gemacht werden musste. Wir verabredeten uns für ein nächstes Treffen zu dem ich zwei weitere in der Nähe wohnende braugeschichtlich und brautechnologisch versierte Fachleute mitbrachte, den Brauingenieur Karl-Heinz PRITZKOW und den Brauhistoriker Dr. Martin ALBRECHT. Das Ergebnis dieses Treffens war der Entschluss, dass HomeBase mit unserer Unterstützung einen Event auf die Beine stellen würde. Bei dem sollten einerseits die Kunstwerke der derzeit hier lebenden internationalen Künstler und andererseits die Brauvergangenheit dieses Ortes wiederbelebt werden.

Angeregt durch ein historisches Foto vom 5. März 1907, das anlässlich des ersten Ausstoßes des Engelhardt Pilsners (die Brauerei hatte bis dahin nur obergärige Biere produziert) gefeiert und dokumentiert worden war, kamen wir auf die Idee, als Datum den 5. März 2011 zu wählen und bei diesem Event sowohl ein historisches Pilsner, das „Ignatzbier“ zu brauen als auch das historische Foto nachzustellen.

In den folgenden Wochen erstellten Martin ALBRECHT, Karl-Heinz PRITZKOW und ich die Texte zur braugeschichtlichen Ausstellung und wählten Bilder aus, um diese zu illustrieren, während Anat LITWIN und einige KünstlerInnen sich um Sponsorengelder für Material und den Ablauf des Events kümmerten.

Ein großes Portraitfoto von Ignatz NACHER sollte im Zentrum der brauhistorisch-künstlerischen Veranstaltung stehen, es sollte ihn gewissermaßen zurückholen und beteiligen. Schnell war uns klar, dass dies am besten durch eine übergroße Reproduktion am Ende des langen Flures gelingen konnte. Von hier aus hatte er einerseits alles im Blick und gleichzeitig lief jeder Ausstellungsbesucher auf ihn zu und konnte auf dem Weg zu ihm einerseits die brauhistorischen Informationen die links und rechts an den Wänden des Flurs als auch die von einzelnen Künstlern gestalteten Räume, die von diesem Flur abgingen, besuchen.

Um dies zu unterstreichen, ihn gewissermaßen zum Star zu machen, planten wir einen roten Teppich hin zu ihm auszurollen. Doch die Kosten für den Kauf sprengten unseren knappen Finanzrahmen.

Anat LITWIN hatte schließlich die kühne Idee, bei den Organisatoren der kurz zuvor beendeten "Berlinale" anzufragen. Und so gelangte ein Teil des Teppichs, auf dem kurz zuvor Filmstars gelaufen waren, in die ehemalige Engelhardt Brauerei in Berlin-Pankow und konnte für unseren "Star" Ignatz NACHER und sein Lebenswerk ausgerollt werden.

Dies war ein wunderbarer positiver Impuls für unsere bevorstehende Veranstaltung, für die alle Beteiligten unermüdlich arbeiteten und ganz nebenbei auch noch die PR-Trommel rührten. Anat nutzte Ihre Kontakte zur Kunstszene, Presse und Medien, um dort Aufmerksamkeit für das Event zu erzeugen, und ich nutzte meine berufliche Verbindung zu Brauern, brauhistorisch interessierten Sammlern, Bierenthusiasten, Braustudenten der TU Berlin, internationalen Braustudenten der VLB Berlin um sie für diese außergewöhnliche Brau-Kunstveranstaltung zu interessieren. Schließlich wollten wir ja ein Foto nachstellen, für das wir eine ganze Reihe von Mitwirkenden brauchten, und zweitens, zu einem breiten Diskurs über Heimat, Kunst, Bier, (Orts)Geschichte und deren Akteure in Vergangenheit und Zukunft anregen.

Bis spät in die Nacht werkelten wir am Vorabend der Veranstaltung, der rote Teppich musste gesaugt werden, die Brauzutaten angefahren und vorbereitet werden, Bühne und Akustik geprüft, Sitzmöglichkeiten aufgebaut und Verpflegung bereitgestellt werden. Und last not least mussten Bierflaschen etikettiert werden.

Schon früh hatten wir uns darauf verständigt, dass es zum Event ein "IGNATZBIER"  geben sollte. Da das Schaubrauen aber zeitgleich stattfand und damit das hier vor Ort gebraute Bier erst nach einigen Wochen fertig sein würde, hatten wir beschlossen ein durch "Quartiermeister", einem sozialen Projekt, das regionale Projekte unterstützt, vertriebenes Bier als Veranstaltungsbier gegen Spenden bereitzustellen. Allerdings versahen wir die Quartiermeisterflaschen mit einem zusätzlichen Label. Diese trug die Aufschrift " Ignatz-Bier - A limited edition, celebrating the life of Ignatz Nacher  -Launched at Thulestrasse 54, on March 5th 2011" und war mit einem Portrait von Ignatz NACHER versehen und der ursprünglich schwarzhaarige Engelhardt-Engel, der seit der Nazizeit blond geworden war, hatte hier nun rote Haare.

Erst weit nach Mitternacht waren alle Flaschen fertig etikettiert und nach einem Gute-Nacht-Bier verabschiedeten wir uns, um wenigstens noch ein paar Stunden Schlaf vor Beginn der Veranstaltung zu bekommen. 

Der Himmel meinte es gut mit uns und der 5. März 2011 begrüßte uns strahlendblau und mit  Sonnenschein. Nach letzten Handgriffen und Vorbereitungen öffneten wir gespannt die Türen der Ausstellungsräume und die ersten Besucher ließen nicht lange auf sich warten.

Unsere Erwartungen wurden in jeglicher Hinsicht übertroffen. Nachbarn, Presse, Kunstinteressierte, Bierenthusiasten, Sammler, Historiker, Brauer, Studenten und Freunde kamen zahlreich und diskutierten, erzählten von ihren Erinnerungen an diesem Ort, schauten Kolja GIGLA ,dem Braumeister des echten Ignatz-Bieres beim Bierbrauen über die Schulter, und standen schließlich mit uns im Hof um das historische Foto (siehe oben) nachzustellen.

Viele waren zudem unserer Bitte gefolgt und hatten sich Hüte aufgesetzt oder Engelhardt-Exponate mitgebracht, die sie auf dem Bild in Szene setzten. Zu unserer großen Freude waren auch einige Mitglieder aus der weitläufigen Familie von Ignatz NACHER gekommen: Ronnie MANDOWSKY, der eigens aus Kanada angereist war, und auch die in Berlin lebenden Enkel von Hermann EISNER und Camilla SPIRA waren vor Ort und reihten sich im vorderen Teil des Fotos mit ein:

Mit einer kurzen Ansprache bedankte sich Anat LITWIN bei allen, die an diesem Projekt mitgewirkt und eine fast in Vergessenheit geratene Geschichte und Person wieder ins Bewusstsein zurückgebracht hatten. Bis zum Abend diskutierten die anwesenden Brauer und Künstler über Kunst, Geschichte, Verfolgung, Heimat, und die gesellschaftliche Bedeutung von Kunst und Bier. Und immer wieder fiel der Blick auf Ignatz Nacher, der  wohlwollend lächelnd mit im Raum stand: "L'Chaim Ignatz!"

Im Nachgang zur Veranstaltung, über die unter anderem auch der öffentlich-rechtliche Fernsehsender "rbb" in seiner "Abendschau" berichtet hatte, meldete sich ein weiterer Verwandter von Ignatz NACHER bei mir, Peter NACHER (†) aus Berlin. Niemand wusste von ihm und er wiederum hatte sich zuvor nie bei den anderen Nachfahren von Ignatz NACHER, die in Berlin leben, gemeldet. Er hatte den TV-Bericht gesehen und Gesprächsbedarf.

Mit ihm führte ich kurze Zeit später ein Interview, in dem er mir einen Teil seiner Lebens- und Familiengeschichte erzählte und mir unter anderem auch von seinem früheren Freund und Spielkameraden Thomas MUNDERSTEIN berichtete, ein Großneffe von Ignatz NACHER.

Thomas MUNDERSTEIN, seiner Mutter und seiner Großmutter war es nicht gelungen, rechtzeitig Deutschland zu verlassen. Alle drei wurden am sogenannten Rigaer Blutsonntag, kaum dass sie dorthin über drei Tage lang deportiert worden waren, erschossen. Peter NACHER hatte ein Foto von ihm. Die Geschichte seines früheren Spielkameraden ist rekonstruiert unter Das kurze Leben von Ignatz NACHER's Großneffen Thomas MUNDERSTEIN.

Auch das während der Veranstaltung hergestellte IGNATZBIER hatte noch einige Nachwirkung. Nach Vergärung und Lagerung, wurde das Ignatz-Pils von unserem Braumeister Kolja auf Flaschen gezogen und in einer gemeinsamen Aktion mit den Künstler mit dem wohl längsten Etikett der Welt ausgestattet, das sage und schreibe 1,41 m lang ist und die Entstehungsgeschichte dieses Bieres aber auch die Geschichte von Ignatz NACHER enthält. Ein Teil dieser Flaschen gelangte mit Anat LITWIN als Kunstprojekt von HomeBase zur ArtBasel und hat auch dort die Geschichte von Ignatz NACHER in die Gegenwart geholt.

Im Jahr 2012 wurde das Foto am 5. März ein weiteres Mal nachgestellt, durch die Unterstützung des damaligen Bezirksbürgermeisters von Pankow Mathias KÖHNE, der sich schon seit 2011 für das Gedenken an NACHER eingesetzt hatte, konnte mittels eines diesmal vorhandenen Krans ein weitaus professionelleres Foto entstehen, das die Erinnerung an die Engelhardt-Brauerei in Berlin Pankow, Thulestr. 54, aber auch an Ignatz NACHER noch einmal aufleben ließ.

Heute sind die damals noch vorhandenen Gebäude sämtlich abgerissen und es entsteht an dieser Stelle ein neues Wohnquartier. Anat LITWIN hat sich nach dem Verkauf des Geländes beim Investor und Bauträger beständig für ein Gedenken an Ignatz NACHER an diesem Ort eingesetzt. Durch ihre Beharrlichkeit und das Engagement von Matthias KÖHNE und anderen damaligen Projektbeteiligten wird dies hoffentlich bald in die Tat umgesetzt werden können.

Michaela KNÖR, Mai 2020


Anmerkungen von Johannes LUDWIG

Die Entstehungsgeschichte der Engelhardt-Brauerei und ihres maßgeblichen 'Chefs', Ignatz NACHER ist rekonstruiert unter Die Erfindung der Pfandflasche. Oder: Wie Ignatz NACHER aus einer Min-Brauerei einen Großkonzern namens "Engelhardt" macht. Wie "Arisierung" abgelaufen war, lässt sich nachlesen unter Die brutale Enteignung des Ignatz NACHER. Die gesamte Geschichte, die aus 10 Kapiteln bestehen wird, kann man direkt aufrufen und verlinken unter www.ansTageslicht.de/Nacher.

Diesen Text hier können Sie ansteuern und verlinken unter www.ansTageslicht.de/Ignatzisback.

Was auch dieser Erinnerungsbericht zeigt: Um nachträglich historische Spuren zu retten, hilft nur eines: kommunizieren. Und den ersten Schritt zu wagen. Sei es, dass man zum Telefon greift oder einen Brief bzw. eine Email schreibt oder dass man, wenn man den Hund "Gassi" führt, neugierig wird, wenn sich ungewöhnliches oder neues auftut. Hätte Michaela KNÖR dies nicht getan, wäre aus dem IGNATZBIER nichts geworden, ebenso hätte es weder eine Ausstellung gegeben noch das nachgestellte Foto und auch kein Erinnerungs-Event.

Wir hätten aber auch einige Informationen über NACHER's Großneffen Thomas MUNDERSTEIN nicht erfahren, dessen Leben kurz vor seinem 12. Geburtstag zu Ende war. Sein ehemaliger Spielkamerad, der mein Buch kannte, in dem die Engelhardt-Geschichte 1989 zum ersten Mal detailliert beschrieben worden war, hatte mich nie angesprochen ebensowenig seine anderen in Berlin lebenden Verwandten. Umgekehrt wussten auch die nichts von ihm. Und bei Michaela KNÖR hatte er sich erst nach dem Fernsehbericht über das Ignatz-NACHER-Event gemeldet.

Ich selbst wiederum hatte von Thomas MUNDERSTEIN's Spielkameraden erst im Herbst 2019 erfahren, als das erste Kapitel dieser ganzen Geschichte online ging. Zu dem Zeitpunkt war aber auch er nicht mehr am Leben. So sind einige Spuren gerettet, aber nicht alle. So wissen wir z.B. nicht, wie es ihm nach Beginn der Deportationen gelungen war, sich als 8jähriger Junge am Oderbruch bis zum Ende des Krieges zu verstecken. Und mit wessen Hilfe das möglich war.

So verbleibt als Quintessenz die nachdrückliche Bitte: Wer etwas zu berichten weiß und Anhaltspunkte hat, wen dies interessieren könnte, möge diesen Schritt wagen.