Chronologie der Familien LUONG und BUZOLI

Die beiden Familien LUONG und BUZOLI kennen sich gegenseitig nicht, haben auch so gesehen nichts miteinander zu tun. Außer dass sie Kinder haben, die in Deutschland geboren und aufgewachsen sind und die deswegen die Heimatländer ihrer Eltern noch nie gesehen haben. Die Kinder, aber auch die Eltern sind bestens integriert. Asyl wird ihnen - ersteinmal - nicht gewährt: Die Eltern sind mit dem Gesetz in Konflikt geraten, nicht die Kinder.
Die kleine Chronologie listet die relevanten Ereignisse beider Familien auf.

Mitte der 80er Jahre

Dung LONG, der spätere Vater von Giang und 1961 in Haiphong/Vietnam geboren, geht mit 27 Jahren offiziell als Gastarbeiter nach Zwickau in die DDR, baut dort Trabis zusammen.
Muharem BUZOLI, geboren 1966 in Priluzje im Kosovo (Nähe Hauptstadt Pristina), und inzwischen verheiratet, geht nach Deutschland, um Asyl zu beantragen. Er ist Roma, lebt (im ehemaligen Jugoslawien) in seinem kleinen Dorf umgeben von Albanern und Serben, die sich gegenseitig nicht ausstehen können, die sich aber geeint im Hass gegen die Romas fühlen. Seit TITO's Tod heizt der neue Parteisekretär der Kommunisten Serbiens, Slobodan MILOSEVIC, die nationalistischen Spannungen auf: Das serbische Volk sei seit langem systematisch benachteiligt. 1989 wird er den Autonomiestatus des Kosovo aufheben - die Spannungen zwischen Serben und Albanern nehmen zu


1989

Just zu dieser Zeit wird Muharem BUZOLI von den deutschen Behörden in den Kosovo zurückgeschickt. Bei seiner Ankunft in Priluzje wird er von Polizisten tagelang misshandelt. Seinen Vater trifft es schwerer: Er wird so traktiert, dass er an den Folgen der Verletzungen stirbt. Kurze Zeit später wird das Haus der BUZOLI's angezündet und brennt völlig ab. Die BUZOLIS ergreifen die Flucht - sie fliehen vor dem Bürgerkrieg und dem Hass nach Deutschland. Dort beantragen sie politisches Asyl.
Wenig später - nach dem Mauerfall am 9. November - verliert Dung LUONG, der aus Vietnam nach Zwickau gekommen war, seinen Job. Trabbis will jetzt niemand mehr kaufen. LUONG geht in den Süden Deutschlands, nach Stuttgart. Dort findet er Arbeit in einer Metallverarbeitungsfirma


2. September 1990

Die Kinderrechtskonvention, die die UN im November 1989 beschlossen hat, tritt in Kraft, nachdem das 20. Land die Konvention unterzeichnet hat. In Artikel 3, Absatz 1 ist vereinbart:
"Bei allen Massnahmen, die Kinder betreffen, gleichviel ob sie von öffentlichen oder privaten Einrichtungen der sozialen Fürsorge, Gerichten, Verwaltungsbehörden oder Gesetzgebungsorganen getroffen werden, ist das Wohl des Kindes ein Gesichtspunkt,
der vorrangig zu berücksichtigen ist."

Die Bundesrepublik unterschreibt unter dem Vorbehalt, dass in Deutschland die gesetzlichen Ausländerregelungen Vorrang vor den (Menschen)Kinderrechten haben müssen


1991

Dung LUONG's Asylantrag wird abgelehnt. Er kämpft weiter, um bleiben zu dürfen. Schon deshalb, weil er Huong kennen gelernt hat, ebenfalls eine Vietnamesin, die wie er einen Asylantrag stellt, und die er heiratet. Die deutsche Sprache beherrschen beide längst perfekt


Mitte der 90er

Die Familie BUZOLI hat sich in Deutschland vergrößert. 1990 kam der erste Sohn Emrah zur Welt, 1992 die erste Tochter Dzejlan, 1993 der zweite Sohn namens Skender.
Dung LUONG begeht den größten Fehler seines Lebens. Er macht 1995 bei einer Ost-West-Zigarettenschmuggelaktion mit, wird geschnappt und zu 5 Jahren Gefängnis verurteilt. Während seiner Haftzeit kommt 1995 seine Tochter Giang zur Welt


Ende der 90er

Dung LUONG bekommt nach seiner Haftentlassung bei seinem alten Arbeitgeber sofort wieder einen Arbeitsplatz als Gabelstapelfahrer - seine Firma hat den Glauben an ihn nicht verloren.
Die Familie BUZOLI wächst um ein viertes Kind, um einen dritten Sohn.
1999 beginnt und endet der offizielle "Kosovokrieg". Die Region wird hierzulande nicht mehr als Bürgerkriegsregion betrachtet


2004

Das Regierungspräsidium fordert die Familie LUONG, die Eltern und ihre inzwischen zwei Töchter, unter Androhung der Abschiebung auf, Deutschland freiwillig zu verlassen. Die Eltern klagen vor dem Verwaltungsgericht in Stuttgart: vergeblich. Auch der Petitionsausschuss des Baden-Württembergischen Landtags und die Härtefallkommission können nichts unternehmen - die Straftat des Vaters wiegt schwer.
In Baden-Württemberg werden in diesem Jahr insgesamt 3.164 Menschen "abgeschoben"


2005

Auch die Familie BUZOLI erhält von der Behörde einen Brief in Sachen "Abschiebevorbereitung". Vater BUZOLI gerät in Panik. Er flieht mit seiner Familie zu Verwandten nach Schweden. Dort wird die Familie wieder nach Deutschland zurückgeschickt, weil dort ein Asylverfahren anhängig sei


2006

Die Mutter BUZOLI wird nach der unfreiwilligen Rückkehr aus Schweden nach Deutschland wegen psychischer Beschwerden in einer Klinik für allgemeine Psychatrie und Physiotherapie behandelt - zu traumatisch sind die Erinnerungen an den Kosovo und die Erfahrungen der letzten Ereignisse


2008

Während Muharem BUZOLI trotz seines ungeklärten Aufenthaltstatus einen unbefristeten Arbeitsvertrag bei McDonalds in Ellhofen hat, zeichnet der Stuttgarter Regierungspräsident Johannes SCHMALZL die Abschiebepapiere für die Familie LUONG ab. Am 28. September werden die LUONG's nachts von der Polizei abgeholt und kurzerhand nach Ludwigsburg verfrachtet. Nach einer Leibesvisitation wird die Familie zum Flughafen Berlin-Schönefeld gefahren: in das dortige Abschiebegefängnis.
Der von der Fluggesellschaft beauftragte Arzt stellt bei der jüngsten LUONG-Tochter Mai Linh, 6 Jahre, eine akute Magen-Darmgrippe fest und erklärt sie für nicht reisefähig. Familie LUONG wird Stunden danach von der Polizei zum Bahnhof gebracht. Von dort fährt sie zurück nach Stuttgart. Das Ganze ist "Giangs erste Reise", denn bisher durfte keines der Familienmitglieder die Stadt verlassen: weder für einen Urlaub noch um andere Bekannte zu besuchen.
Vater LUONG, der jetzt seit 20 Jahren in Deutschland lebt, hier verheiratet ist und zwei Kinder hat, wendet sich an den Kinderschutzbund in Stuttgart, beauftragt einen Rechtsanwalt, gegen das Urteil des Stuttgarter Verwaltungsgerichts beim Verwaltungsgerichtshof in Mannheim Beschwerde einzulegen


24. Januar 2009

Michael OHNEWALD, vom Kinderschutzbund auf das Schicksal der Familie LUONG angesprochen, veröffentlicht eine Geschichte dazu:

Das Echo in der Öffentlichkeit ist enorm. Der Kinderschutzbund Stuttgart hat einige Reaktionen festgehalten


kurz darauf

Der Verwaltungsgerichtshof Mannheim gibt der Beschwerde von Dung LUONG statt: In einer einstweiligen Anordnung wird dem Stuttgarter Regierungspräsidenten die Abschiebung der Familie nach Vietnam untersagt. 
In Folge erhalten Giang, ihre Schwester und die Eltern einen Ausweisersatz, der bis zum 10. April 2010 gültig ist. Die 14jährige Giang kann wieder in die Schule gehen, ihre Freundinnen wieder treffen


Ende Januar

Michael OHNEWALDs eindringliche Reportage schlägt hohe Wellen. 

  • Der Landtagsabgeordnete Werner WÖLFLE, GRÜNE, fordert, das die zuständigen Personen diesem Fall nachgehen. Zitat: „Ich erwarte von unserem Justizminister, der gleichzeitig Integrationsbeauftragter ist, das er sich um den Fall kümmert“
  • Der Stuttgarter Asylpfarrer Werner BAUMGARTEN sagt: „Die Kinder können nichts für die Straftat des Vaters“, „man darf bei solchen Schicksalen nicht nur die Formalismen sehen“
  • Der Vertreter des Landesverbands des Kinderschutzbundes Reinhard STEINHÜBL: „Ich bin entsetzt darüber, wie hier staatliche Organe gehandelt haben“
  • Auch der internationale Ausschuss des Stuttgarter Gemeinderates kritisiert das Verhalten der Behörden. Zitat der Stadträtin Marita GRÖGER, SPD: „Es ist unvorstellbar, wie das Kinderland Baden-Württemberg und das kinderfreundliche Stuttgart mit den hier aufgewachsenen und gut integrierten jungen Menschen umgeht“.

Juli 2009

Inzwischen beginnt das Problem bei der Familie BUZOLI zu brennen. Die Familie geht zum Stuttgarter Kinderschutzbund, von dessen Aktivitäten in Sachen Familie LUONG auch die BUZOLI's erfahren haben. Uwe BODMER, der Vorstandsvorsitzende fordert die Kinder auf, sich "Gedanken, Wünsche und Bedenken bezüglich einer bevorstehenden Abschiebung aufzuschreiben."

  • Der älteste Sohn Emrah, 18 Jahre: "Mein Heimatland ist Deutschland. Ich möchte nicht zurück ins fremde Land: Ich lebe seit 17 Jahren in Deutschland. Der Kosovo ist für mich ein fremdes Land, das ich nur aus dem Fernsehen kenne. Es tut mir weh, wenn ich sehe, dass dort die Häuser zerstört sind, die Leute keine Arbeit haben, Kinder leiden und ich mir vorstelle in dieser Situation zu leben. 
    Meine Eltern haben mir erzählt, wie schön es im Kosovo war, vor meiner Geburt, ehe der Krieg begonnen hatte und es keinen Hass zwischen den Menschen gab. Es spielte keine Rolle, ob einer Serbe, Roma oder Albaner war. Als sich die Situation durch die Politik verschlechtert hatte, sind meine Eltern mit mir nach Deutschland geflohen, weil sie im Kosovo für mich keine Zukunft gesehen hatten. Es ist für mich wie ein Weltuntergang, wenn ich mir nachts vor dem Schlafengehen vorstelle, dass die Polizei an der Tür steht und uns mitnimmt.
    Deutschland ist meine Heimat seit 17 Jahren. Ich will nicht zurück!
    Zurück bleiben meine Freunde, meine Schule, meine Ausbildung. Ich möchte hier meine Ausbildung fertig machen und danach arbeiten.
    Andere Familien haben Straftaten begangen und dürfen in Deutschland bleiben. Ich verstehe das nicht."
  • Und die 17jährige Tochter Dzejlan schreibt: "„Ich habe Angst mein Vaterland verlassen zu müssen!!! Der Kosovo ist ein fremdes Land für mich. Ich kenne die Kultur dort nicht. Ich beherrsche nicht mal die Sprache richtig. Ich will hier meine Zukunft haben, meine Ausbildung machen und arbeiten. Ich habe nachts Angst zu schlafen, meine Augen zu schließen, da jede Minute vielleicht die Polizei an unserer Tür klingelt. Ich schaue die Fotos von mir und meinen Freundinnen an, die an der Wand in meinem Zimmer hängen. Wenn ich weg muss habe ich alles verloren! Meine Freundinnen, meine Schule, meine Ausbildung und meine Zukunft."

November 2009

Uwe BODMER vom Kinderschutzbund erstellt eine Stellungnahme im Rahmen des geplanten Abschiebeverfahrens der Familie BUZOLI. Er betont darin u.a. die Verwurzelung der ganzen Familie in Deutschland und die klaren beruflichen Perspektiven auch der Kinder. Die Tochter beispielsweise hat - trotz des ungewissen Aufenthaltstatus - eine Friseurlehrstelle bekommen


Dezember 2009

Regierungspräsident Johannes SCHMALZL nimmt die Stellungsnahme und Einschätzung des Kinderschutzbundes ernst. Uwe BODMER hat mit ihm ausführlich über das Problem im Grundsätzlichen und im Speziellen der Familie BUZOLIgesprochen. SCHMALZL stoppt das bereits angelaufene Abschiebeverfahren. Die Familie kann "Weihnachten ohne Angst verbringen".
Diesen Artikel veröffentlicht Michael OHNEWALD punktgenau am 24. Dezember:

Über den Sinneswandel des Stuttgarter Regierungspräsidenten sagt Uwe BODMER: "Sicher hat ihn der OHNEWALD-Artikel 'Giangs Reise' und die Reaktion mit Leserbriefen in der Zeitung beeinflusst. Aber nach dem Gespräch mit ihm denke ich, dass er in der Sache tatsächlich das Problem für die Kinder erkannt hat. Er hat sich ja auch in einem Brief an seinen Amtsnachfolger in Karlsruhe dafür eingesetzt, diesen humanitären Weg fortzusetzen."


ab 2010

Durch eine landesweite Umorganisation der baden-württembergischen Regierungspräsidien werden Abschiebefälle ab sofort zentral beim Regierungspräsidium in Karlsruhe bearbeitet


Mai 2010

Die Bundesregierung zieht ihren Vorbehalt bei den UN-Kinderschutzregelungen zurück, nach dem die Ausländergesetze wichtiger seien als die (Menschen)Kinderschutzrechte. Dadurch absehbar sind veränderte rechtliche Regelungen bei "Abschiebungen"


November 2010

Justizministerin Sabine LEUTHEUSER-SCHNARRENBERGER, FDP, sowie Deutschlands Innenminister sind sich einig, dass den Belangen von Kindernn mehr Rücksicht eingeräumt werden müsse. Demnach sollen Kindern bzw. Familien, die hierzulande "geduldet" werden, weil sie keine Aufenthaltserlaubnis haben, aber aus "humanitären Gründen" nicht abgeschoben werden dürfen/können, ein Bleiberecht zugestanden werden. Dies soll aber nur

  • für Kinder gelten, die gut integriert sind, sprich gute Schulnoten aufweisen können und nicht straffällig geworden sind 
  • für die Eltern nur solange, wie die Kinder noch nicht volljährig sind. 

Die gesetzlichen Regelungen im Detail dazu stehen aus.
Der Kinderschutzbundvorsitzende in Stuttgart, Uwe BODMER, zur Lebenssituation der Familien LUONG"„Sie haben eine Aufenthalts-Genehmigung, können reisen wohin sie wollen, die Kinder leben ohne Angst und entwickeln sich prächtig in der Schule, sind richtig gut integriert in unserer Gesellschaft“
Und zur Situation der Familie BUZOLI"Der Familie geht es gut, der Vater arbeitet nach wie vor bei Mc Donalds, die Jungs gehen zur Schule und die Tochter macht ihre Ausbildung zur Friseurin.“



(AP)