Die 56 Berichte der SÜDWEST PRESSE aus Ulm, 11.05.2013

von Rudi KÜBLER, Christoph MAYER

Die Bauherren vom Eselsberg

SÜDWEST PRESSE , 11.05.2013 von Rudi KÜBLER, Christoph MAYER

Man kann das ja verstehen. Jeden Tag schaute Reinhard Marre aus dem Fenster – und sah die neue Chirurgie wachsen. Vier Jahre lang. Von der Grundsteinlegung (2008) über das Richtfest (2010) bis hin zur Eröffnung (2012). Und wie das Gebäude wuchs, so wuchs auch das Selbstbewusstsein des Leitenden Ärztlichen Direktors und seines Alter Ego, Rainer Schoppik, der den kaufmännischen Bereich des Klinikums verantwortete. Man habe den Eindruck gehabt, die beiden konnten vor Kraft kaum mehr laufen, heißt es aus dem direkten Umfeld der Albert-Einstein-Allee 29. Dort ist das Verwaltungsgebäude des Klinikums, dort, im obersten Stock, sind die Büros der Direktoren. Mit besagtem Blick auf die Chirurgie. Klar, Marre und Schoppik drehten am großen Rad, 190 Millionen Euro allein für den Bau, weitere 50 Millionen für die Ausstattung. Ein Haufen Holz. Jahrzehntelang war die neue Chirurgie auf die lange Bank geschoben worden, weil das Land auf die leeren Kassen verwies. Endlich ging es vorwärts – ohne das Land. Das Uni-Klinikum Ulm finanzierte sogar dessen Anteil vor, dank der beiden Macher. Bauherren waren sie sogar, Bauherren für ein „Mammutprojekt“, wie immer betont wurde. Und jetzt? Jetzt ist einer der Macher abhanden gekommen. Quasi über Nacht. Schoppik heuerte an der Uni-Klinik Hamburg-Eppendorf an. Und der andere gilt als Auslaufmodell, Marre geht Ende September in Ruhestand.


Professor Marre und Herr Schoppik. So redeten sich die beiden immer an, auch noch nach Jahren enger Zusammenarbeit. Sie verbrächten mehr Zeit miteinander als mit ihren Frauen, witzelte Marre einmal und betonte im selben Atemzug den gegenseitigen Respekt, der das „Sie“ gebiete. Zum Abschied klopfte man sich aber noch einmal gegenseitig auf die Schulter, wie toll doch alles gelaufen ist. „Zur erfolgreichen Umsetzung dieses Mammutprojektes im Zeit- und Kostenplan trug Herr Schoppik durch ein strukturiertes Management und ein hohes Maß an Entscheidungskraft maßgeblich bei.“ Dass Schoppik derart schnell vom Aufsichtsrat verabschiedet wurde, erstaunte selbst Insider. Einerseits. Andererseits hört man aus gut informierten Kreisen, dass offensichtlich das Maß voll war. Das Maß, das der Kaufmännische Direktor dem Pflegepersonal und den Ärzten zugemutet hatte – und nicht zuletzt auch dem Aufsichtsrat, der bass erstaunt war „über manch’ seltsame Vorgänge“.

Im März dieses Jahres hatten sich die Chefärzte in einem Brief „mit Sorge“ an den Klinikumsvorstand gewendet:


„Der ärztliche Dienst ist verschlankt worden und kaum mehr in der Lage, Krankheitsausfälle auszugleichen. Besonders dramatisch zeigt sich jedoch die Situation im Pflegedienst. In den letzten Monaten ist es zu einer sich zuspitzenden, mittlerweile prekären Situation gekommen,die immer wieder zu erheblichen Engpässen führt . Das derzeitige Vorgehen, auslaufende befristete Verträge im Pflegedienst nicht zu verlängern, wurde mit den Ärztlichen Direktorinnen und Direktoren weder abgestimmt noch erfolgte hierüber eine transparente Information . . . Die aktuelle Verschärfung der Personalsituation ist jedoch derart bedenklich, dass die Ärztlichen Direktorinnen und Direktoren nur noch die Möglichkeit sehen, Betten zu schließen, um Patienten nicht zu gefährden.“


Es war nicht der erste Hilferuf, es sollte auch nicht der letzte sein. Dass die Zahlen ins Rote tendieren, hatte sich bereits während des Jahres 2011 angedeutet; im letzten Quartal war dann offensichtlich, dass das Klinikum ein Minus einfahren würde. Heißt es aus Kreisen der Chefärzte. Offiziell aber sei nach außen weiter kommuniziert worden: alles prima, großartige Bilanz. Schoppik hatte ja auch im Februar 2011 erst eine vorzeitige Vertragsverlängerung erhalten, garniert mit der Nachricht, dass der Umsatz in der Krankenversorgung seit seinem Antritt als Kaufmännischer Direktor 2006 um circa 25 Prozent gestiegen sei. Und dann ganz plötzlich der Crash! 6,8 Millionen Euro Miese hatte das Klinikum im Jahr 2011 eingefahren, für den plötzlichen Patienteneinbruch im September gebe es keine Erklärung – außer vielleicht, „dass es sehr warm war“, sagte Marre in einer Personalversammlung im März 2012. Die schlechten Zahlen ließen Schoppik umgehend zum Rotstift greifen. Eine Wiederbesetzungssperre für auslaufende Stellen wurde verfügt, die vor allem den Stationen zu schaffen machte – in der Pflege, aber auch im ärztlichen Dienst. 2012 war das Minus geringer: 6,6 Millionen Euro standen offiziell unter dem Strich. Wahrscheinlich war der September nicht ganz so warm. Marre sagt heute: „Hätten wir dem Klinikum keine drastischen Sparmaßnahmen verordnet, läge das Minus bei 10 Millionen Euro. Die Sparzwänge bleiben, aber wir werden das Schiff auf Kurs halten. “ Interessant freilich sind in diesem Kontext die inoffiziellen Zahlen, das Jahresergebnis lag unfrisiert bei einem Minus von fast 15 Millionen Euro.


Diejenigen, die an Bord schuften, die Matrosen also, um im Bild zu bleiben, sind freilich die Durchhalteparolen leid. Pflegekräfte und Ärzte leisten überwiegend gute Arbeit, sie hängen sich rein für den Patienten, machen Überstunden – und sind am Ende. Physisch wie psychisch. Ein weiterer Hilferuf geht an Hartmut Schrade, der Leitende Ministerialrat im Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst ist Vorsitzender des zehnköpfigen Aufsichtsrats des Uni-Klinikums. Wer ist dieser Mann? Die einen halten große Stücke auf ihn, er kenne sich aus, habe den Überblick. Andere kritisieren, dass Schrade die Dinge laufen lasse. Im blinden Vertrauen auf den Ärztlichen und den Kaufmännischen Direktor. Aus der Riege der Chefärzte sind deutlichere Worte zu hören: Der Fisch stinkt vom Kopf her. Mit dem Kopf sind nicht nur Marre und Schoppik gemeint, sondern eben auch der Aufsichtsratsvorsitzende, dem sie hinter vorgehaltener Hand Filz und Vertuschung vorwerfen. Denn Schrade wisse seit langem um die finanziellen und personellen Probleme der Klinik und reagiere nicht. Wie dem auch sei, in einem vertraulichen Brief schreiben sich fast fünf Dutzend Stationsleitungen des Uni-Klinikums den Frust von der Seele:


„. . . Mittlerweile sind alle Ressourcen des Pflegedienstes, aber auch des ärztlichen Dienstes im klinischen Alltag ausgereizt. Ersichtlich wird dies auch an der hohen Anzahl von Überstunden und der Häufung von Erkrankungen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Bemühungen unsererseits für gemeinsame Lösungsstrategien der derzeitigen schwierigen Situation wurden vom Klinikumsvorstand immer wieder abgewiesen, nicht ernstgenommen, sogar als lächerlich bezeichnet. Stattdessen wurde immer wieder versucht, Berufsgruppen und Kliniken untereinander auszuspielen, dies immer wieder auch in ungehaltenem und aggressivem Ton.“


Aggressiv im Ton – das hat System. Vor allem der Personalrat kann ein Lied davon singen. Die Mitarbeitervertreter lässt man ins Leere laufen. Oder sie werden abgebürstet. Beispielhaft steht ein E-Mail-Verkehr zwischen dem Personalratsvorsitzenden Bruno Stemmer und dem Kaufmännischen Direktor Rainer Schoppik. Stemmer tut das, was ein Personalrat machen muss und kann: Er fragt an und bittet – freundlich im Ton. Die Antwort Schoppiks: „. . . der Vorstand ist nicht Ihr Befehls- und Auftragsempfänger. Wie so oft vergreifen Sie sich auch hier im Ton. Vielleicht überlegen Sie einmal, wie Sie so ein Anliegen wertschätzend und nicht anmaßend an uns herantragen.“ Die Kommunikation zwischen Vorstand und Personalrat war von jeher gestört, was man nicht verstehen muss. Was man auch nicht verstehen kann, wenn man weiß, das Stemmer keiner ist, der auf den Putz haut und die Öffentlichkeit sucht. „Jede Negativ-Schlagzeile dreht an der Abwärtsspirale. Und alles fällt auf uns zurück, auf die Mitarbeiter“, sagt er. Und daraus spricht eine hohe Loyalität zum Klinikum. Mit dem E-Mail-Verkehr war aber eine Grenze erreicht, „dieser kaiserliche, dieser napoleonische Führungsstil“ sei nicht mehr zu ertragen gewesen. Die Personalräte schreiben Mitte April nach Stuttgart:


„Emotionale Kontrolle, die Verantwortung für eine positive Grundstimmung und der stetige Versuch, gegenseitiges Vertrauen zu schaffen, sind gerade in schwierigen Zeiten unabdingbare Voraussetzung und der Schlüssel für die dringend notwendige Wende der Geschäftspolitik des Klinikums. Dass ein Personalrat für den Vorstand eines Klinikumshäufig ein schwieriger, nicht immer einfach zu handhabender Partner ist, ist auch dem Personalrat und seinem Vorsitzenden bewusst. Dennoch halten wir einen adäquaten, wenn nicht gar wertschätzenden Umgang mit Meinungen des Personalrats und aller Beschäftigten des Klinikums für wichtig.“


Muss erst etwas passieren? Muss erst ein Patient sterben? Mit dieser Frage werden Marre und Schoppik auf einer Betriebsversammlung konfrontiert. Beide zeigen sich betroffen – mehr allerdings auch nicht. Antworten haben sie keine. Für die beiden Direktoren steht anderes im Vordergrund: die Prüfungsmitteilung des Landesrechnungshofes zur neuen Chirurgie. Das Gutachten habe „wie eine Bombe“ eingeschlagen, sagt ein intimer Kenner des Vorgangs. Marre und Schoppik hätten mit einer sehr guten Bewertung gerechnet und mit breiter Brust erklärt: Wir haben keine Angst vor der Schlussprüfung. Dass die unabhängigen staatlichen Finanzkontrolleure sich in der Beliebtheitsskala unweit von Zahnwurzelextraktionen befinden, liegt in der Natur der Sache: Sie prüfen bisweilen bis auf den letzten Cent, ob öffentliche Gelder zum Nachteil des Landes verwendet worden sind. Nun war erstmals ein Klinikum als Bauherr aufgetreten – für ein Gebäude dieser Größenordnung. Ein Pilotprojekt sollte das Bauvorhaben sein, die beiden erfahrenen Prüfer kamen zum vernichtenden Urteil: „Das Pilotprojekt war nicht erfolgreich.“ Das Klinikum habe sich, so ist zwischen den Zeilen zu lesen, in den Verhandlungen mit dem Generalunternehmer wegen des selbstauferlegten Zeit- und Kostendrucks über den Tisch ziehen lassen. Zum Nachteil des Landes, das für den Bauunterhalt zuständig ist. Marres Lächeln wirkt etwas schockgefroren bei diesem Thema. Er räumt ein, dass er „not amused“ war über das Gutachten, „aber fürs Lächeln werde ich auch nicht bezahlt“. Welche Schlüsse aus dem Bericht des Rechnungshofes gezogen werden, müsse der Landtag entscheiden. Die 40 000 kleinen Mängel dürften dann keine Rolle spielen, das sind Korinthen. Entscheiden werden die großen Fehler: wie der Abwasserkanal, der ohne ausreichendes Gefälle unter die eineinhalb Meter dicke Betonplatte verlegt wurde.


Und dann melden sich auch noch die Seelsorger zu Wort, „wohl zu allem Überfluss“, mutmaßt Alfons Forster von der katholischen Betriebsseelsorge. Sie diskutieren mit Marre, die katholische Klinikseelsorge belässt es aber nicht dabei, weil sie die „besorgniserregende Veränderung in der Qualität der Patientenversorgung“ sieht. Vier Seelsorger schreiben dem Aufsichtsratsvorsitzenden einen Brief, zur Kenntnis auch an Dekan Matthias Hambücher. Der Tenor: So kann es nicht mehr weitergehen!

„Wir möchten Sie eindringlich bitten, das in Ihrer Macht Stehende zu tun, dass das Klinikum seinem Heilauftrag wieder gerecht werden kann, die Ethik des Heilens nicht dem Diktat der Ökonomie geopfert wird, die Gesundheit der Mitarbeiter nicht weiter aufs Spiel gesetzt wird und der Ruf und die öffentliche Wahrnehmung unseres Klinikums nicht weiter Schaden nimmt.“


Was kommt von den Briefen beim Aufsichtsrat an? Schrade lässt verlauten, dass der Aufsichtsrat und das Wissenschaftsministerium die Klagen „sehr ernst nehmen und die Lage genau beobachten“. Wahrscheinlich würde Schrade immer noch die Lage beobachten, wenn der Aufsichtsrat die Faxen nicht dicke gehabt hätte. Die Briefe hätten sehr wohl den Abgang Schoppiks beschleunigt, heißt es aus dem Umfeld des Gremiums. „Wir mussten ein Zeichen setzen. Wir haben seinem Wunsch nach vorzeitiger Vertragsauflösung schneller entsprochen als ihm lieb war“, wird aus dem Aufsichtsrat kolportiert. Die Briefe sind das eine, die nachlässige Informationspolitik des Vorstands das andere. Vom Gutachten des Landesrechnungshofes habe er aus der Zeitung erfahren müssen, „das kann nicht sein“, lässt sich ein Aufsichtsrat zitieren. Und dass das Klinikum im vergangenen Jahr einen Drei-Millionen-Kredit bei seiner Tochter, dem Dienstleistungsunternehmen Uni-Klinikum Ulm (DUU) aufgenommen hat, sorgte in dem Gremium ebenfalls für Unmut. Das bekamen die Aufsichtsräte so en passant mit.


Von der Tochter drei Millionen? Warum? „Das müssen Sie den Aufsichtsratsvorsitzenden fragen.“ Marre, Vorstandsvorsitzender des Klinikums und immer auf eine „bella figura“ bedacht, gibt derzeit eine denkbar schlechte Figur ab.