Die 56 Berichte der SÜDWEST PRESSE aus Ulm, 13.10.2012

von Rudi KÜBLER

Mit kaltem Herzen

SÜDWEST PRESSE , 13.10.2012 von Rudi KÜBLER

Was ist los am Universitätsklinikum Ulm? Zunächst scheint sich hier nur ein Konflikt zu offenbaren zwischen dem Leitenden Ärztlichen Direktor Reinhard Marre und Professor Jürgen Steinacker, der die Sektion Sport- und Rehabilitationsmedizin leitet. Wer nicht mit wem kann und warum der eine streitbarer als der andere sein soll, sei dahingestellt. Tatsache ist, dass das Klinikum sich von der ambulanten Rehabilitation trennen wird und ein privater Dienstleister diesen Bereich übernimmt.


Für Herzpatienten, so das Klinikum, werde sich nichts ändern; und wenn, dann natürlich nur im positiven Sinne. Und für Steinacker? Auf dem Eselsberg gab’s zum einen keinen Platz, zum anderen wollten sie ihn dort oben eh nie. Zwei gute Gründe, ihn, den renommierten Sportmediziner, im frischrenovierten Casino auf dem Safranberg bis zur Pensionierung zwischenzulagern. Sicher, die Sektion ist klein, die Rehabilitation noch kleiner – und, glaubt man den Ausführungen des Klinikums, dazuhin defizitär. Was Steinacker übrigens bestreitet. Den Vorstand sollen die roten Zahlen aber letztlich dazu bewogen haben, sich aus der Reha zu verabschieden.


Hinter der Causa Steinacker verbergen sich freilich ganz andere, viel schwerwiegendere finanzielle Konflikte, die aktuell an die Substanz des Uni-Klinikums gehen. Dass der gesamte Betrieb derzeit, freundlich ausgedrückt, unrund läuft, ist dem Spardiktat geschuldet, das der Kaufmännische Direktor Rainer Schoppik dem Klinikum auferlegt hat. Seit Februar, als das Minus von 6,8 Millionen Euro für 2011 bekannt wurde, hat Schoppik den Rotstift angesetzt. Mit teilweise drastischen Folgen: Weil für befristete Arztstellen eine Wiederbesetzungssperre verfügt wurde, fehlen erfahrene Stationsärzte im Dutzend. Krankenpflegerinnen schmeißen eine Station, weil der junge Assistenzarzt heillos überfordert ist. Dazu ist die Zahl der Pflegekräfte derart knapp kalkuliert, dass manche Stationen über Monate hinweg am Anschlag arbeiten. Wo bleibt das Gespräch mit Patienten, mit Angehörigen? Wer das an höherer Stelle bemängelt, erhält schon mal die Antwort: Man solle mit „kaltem Herzen pflegen“, dann sei das alles zu machen.


Die berufs- und fächerübergreifende Zusammenarbeit sei die „Grundlage innovativer Universitätsmedizin“, heißt es im Wertekanon des Klinikums. Diese Grundlage ist derzeit erschüttert – nicht zuletzt durch die Auslagerung bestimmter Berufsgruppen. So kümmern sich die Pflegekräfte nicht mehr ums Essen, das „erledigen“ Mitarbeiter der ausgegliederten Dienstleistungsgesellschaft Universitätsklinikum Ulm (DUU). Sie tragen die Tabletts, tragen sie ab – ob der Patient gegessen hat, kümmert sie nicht. Warum sollte sie es auch, das ist nicht ihre Aufgabe.


Marre und Schoppik mögen Getriebene im großen Rad des Gesundheitssystems sein. Aber: Sie sind auch Treiber und sorgen mit ihrer Politik bei vielen Mitarbeitern, die mit Herzblut und hochmotiviert für „ihre“ Patienten da sind, für große Unzufriedenheit.


Das Starren auf Fallzahlen ist nicht das allein Seligmachende, zumal eben diese Fallzahlen 2011 nochmals gestiegen sind – und dennoch ein Minus eingefahren wurde. Für 2012 wird ebenfalls ein Minus prognostiziert. Um aus dieser Misere herauszukommen, bedarf es kluger Konzepte – eine Herausforderung für alle Kliniken. Stellenkürzungen und Auslagerungen sind der falsche Weg, weil dadurch die Qualität des Uni-Klinikums leidet.