Alexej NAWALNY - ein Zivilbürger ziemlich weit oben und deswegen im Visier der staatlichen Macht

Wer die höchste(n) Ebene(n) der staatlichen Macht herausfordert, muss mit Gegenwehr rechnen. Wer 2013 für das Bürgermeistersamt von Moskau kandidiert, wer ankündigt, sich bei den Wahlen zum russischen Staatspräsidenten 2017 zu bewerben, weiß, dass das (Über)Leben schwierig wird.

Alexej NAWALNY ist sich dessen bewusst. Und kämpft trotzdem: für - eigentlich - ganz normale Bürgerrechte. Dabei praktiziert er das Gegenteil von dem, was Maxim KATZ versucht: nicht auf einer Ebene ganz unten die Welt zu verändern, sondern ziemlich weit oben. Also zwei gegensätzliche Konzepte.

Trotzdem sind KATZ und NAWALNY miteinander befreundet. Und arbeiten zusammen. KATZ organisiert im Sommer 2013 NAWALNY's Wahlkampf um das Moskauer Bürgermeisterposten und dessen Amtsinhaber SOBYANIN.

Eine kleine Biographie

Jahrgang 1976 studiert NAWALNY mit 17 Jahren im Jahr 1993 erst Jura, 1999 dann Finanzwirtschaft. 2000 engagiert es sich politisch, wird Mitglied der Jabloko-Partei, einem Sammelbecken von Liberalen, Grünen, Sozialdemokraten und demokratisch Engagierten. Dort steigt er schnell auf - bis in das Politbüro ganz oben, zugleich Mitglied der Moskauer Regionalleitung. Als Jabloko 2007 mit 1,6% der Stimmen nicht mehr in die Staatsduma einziehen kann, kommt es zur inhaltlichen Auseinandersetzung mit dem Parteivorsitzenden; NAWALNY wird aus der Partei ausgeschlossen. Zugleich endet seine bisher enge Zusammenarbeit mit Ilija JASCHIN.

Bereits nebenher hat sich NAWALNy in anderen Gruppierungen engagiert. Er war Mitbegründer der Jugendbewegung "JA" (ДА), gründete eine Initiative "Polizei mit und für das Vok" (Милиция с народом), eine weitere Initiative "Das Volk" (Народ).

Schnell wird ihm auch klar, dass man sich nicht nur für Bürgerrechte aktiv engagieren muss, sondern auch um eine saubere Wirtschaft - NAWALNY beginnt einen eigenen Kampf gegen die Korruption im Land. Dazu legt er sich einen Blog an: in russischer und englischer Sprache: navalny.livejournal.com bzw. navalny-en.livejournal.com. Zunächst wird NAWALNY - im Westen - als Blogger bekannt.

Mit seinem Know-how und ein wenig Geld wird er Kleinaktionär an mehreren Aktiengesellschaften, die zum größten Teil in staatlicher Hand sind. Dort ist die Korruption besonders verbreitet - jene die das Sagen haben sind v.a. jene, die vor 1990 als Polit- und Staatsfunktionäre die Unternehmen kontrollierten und nun als 'Manager' der freien Wirtschaft die Firmen als ihre - quasi persönliche - Spielwiese betrachten - in vielerlei Hinsicht und insbesondere in finanzieller.

Das Jahr 2009

Zwei Dinge prägen für NAWALNY dieses Jahr:

  • seine Beratertätigkeit für den Gouverneur der Region Kirov. Dort soll er eine heruntergewirtschaftete Holzfabrik re-animieren.
  • Und er veröffentlicht in seinem Blog erstmals größere Unregelmäßigkeiten in anderen Unternehmen. 

Die Region (Oblast) Kirov, die an der Strecke der Transsibirischen Eisenbahn mehr als 1.000 Km von Moskau entfernt liegt, ist durch die Metall- und Holzindustrie geprägt. Der Gouverneur Nikita BELYCH beauftragt NAWALNY, die staatliche und eine abgewirtschaftete Holzfabrik "Kirovles" zu sanieren: als Berater (Foto: Евгений Фельдман / Новая газета). BELYCH traut dem Juristen, der sich gleichzeitig als agiler Wirtschaftsfachmann betätigt, das entsprechende Know-how zu. NAWALNY organisiert, lässt umstrukturieren und u.a. nicht benötigte Fabrikteile und Holzbestände verkaufen - also das, was man üblicherweise bei Unternehmenssanierungen macht. Der Job dauert nur wenige Monate und der Gourverneur BELYCH ist's zufrieden. 

Das erste Unternehmen, das NAWALNY unter die Lupe nimmt, ist eine der größten Banken Russlands: die VTB. Sie ist weltweit tätig, insbesondere in Russland und Asien und bekannte Tochtergesellschaften sind die VTB24 und die Bank of Moscow. Über 60% der Aktien sind in russischem Staatsbesitz.
NAWALNY hat Informationen und Unterlagen über finanzielle Unregelmäßigkeiten, insbesondere über die widerrechtliche Aneignung von Geldern. Er macht dies in seinem Blog nawalny.livejournal.com öffentlich. Von dort verweist er auf Dokumente, die er anderswo hochgeladen hat, z.B. unter scribd.com. Die Veröffentlichung bleibt nicht ohne Folgen: Der Leiter der Leasing-Abteilung muss seinen Hut nehmen.

Der Fall Transneft

Ein Jahr später beschäftigt sich NAWALNY mit dem staatlichen Ölpipelineunternehmen Transneft. Es nennt das größte Pipelinenetz sein Eigentum: rd. 50.000 laufende Kilometer. Regelmäßig muss der Unternehmenschef der Politik Bericht erstatten (siehe Foto: Staatspräsident MEDWEDEV und Transneft-Präsident Nikolaj TOKAREV im Juli 2008, der vormals KGB-Offizier in der DDR war, woher auch seine Freundschaft mit PUTIN resultiert; Foto: www.kremlin.ru).
NAWALNY verfügt inzwischen über eine Unmenge von Unterlagen, er hat fleißig recherchiert: Die Geschäftsleitung von Transneft hat umgerechnet etwa 3,5 Milliarden Euro veruntreut - detailliert dokumentiert in NAWALNY's Blog am 16. November 2010.

NAWALNY's Anti-Korruptionsprojekt

Korruption ist bekanntlich weltweit ein Problem, aber Korruption in Russland stellt ein flächendeckendes Problem dar - das Land rangiert im Korruptionswahrnehmungsindex von "Transparency International" auf den hintersten Plätzen. U.a. aus diesem Grund gründet NAWALNY Anfang 2011 die Internetseite RosPil.info, eine Art russischer Wikileaks-Plattform. Jeder soll dort Informationen hinschicken können und jeder kann und soll auch die geposteten Dokumente checken - um sich selbst ein Bild von den Vorgängen machen zu können. Dies wird von vielen Menschen genutzt. 

Im Ergebnis baut sich vielerorts Druck auf. Insbesondere weil NAWALNY im Einzelfall auch Strafanzeigen stellt. Allein im ersten Jahr 2011 sind über 40 von über 70 Anzeigen erfolgreich: Es kommt zu Gerichtsverfahren, in deren Kontext umgerechnet fast ein Milliarde Euro (ca. 40 Mrd. Rubel) in die staatlichen Kassen zurückfließen. Auf der einen Seite freut sich das Föderale Schatzamt, auf der anderen Seite fühlt sich die staatliche Macht, die teils identisch ist mit der wirtschaftlichen Macht, in ihren Kreisen gestört. Stören tut das NAWALNY nicht.

Nationalistische Tendenzen bei NAWALNY

Stören tut sich NAWALNY indes ganz offensichtlich an 'Ausländern' bzw. Menschen, die für viele Rechtsgesinnte nicht (genügend) rein 'russisch' sind. 2011 lässt NAWALNY zwei Videos online gehen, in denen er sich klar als russischer Nationalist zu erkennen gibt: "Unsere Gesellschaft wird vom Zerfall zerfressen. ... Da muss man mal auch über Deportationen nachdenken. Nur jene, die Kalk in ihren Köpfen haben, glauben, dass Nationalismus radikal sein muss. Wir haben das Recht, als Russen in Russland zu leben. Und wir werden dieses Recht verteidigen."
Im zweiten Video (rechts) versteigt sich NAWALNY gar zu einem Vergleich militanter Kaukasier mit Kakerlaken, die man nicht mit einer Fliegenklatsche oder einem Pantoffel bekämpfen könne, sondern nur mit einer Pistole:

Führender Kopf in der Oppositionsbewegung

Seit sich Ende 2011 im Zusammenhang mit den Wahlen zur Staatsduma der zivilgesellschaftliche Widerstand regt und auch formiert und immer mehr Menschen auf die Strasse und zu Demonstrationen gehen, ist auch NAWALNY dabei - er zählt zu den führenden Köpfen, wird deshalb öfters auch vorübergehend festgesetzt, wieder freigelassen, muss vor Gericht (siehe Foto), wird verurteilt, mal wieder nicht, mal mit, mal ohne Bußgeldauflage. Von NAWALNY stammt der Slogan über PUTIN's Partei als die "Partei der Gauner und Diebe" - ein Spruch, der sich sehr schnell in vielen Köpfen der Menschen festsetzt - viele Bürger haben dazu eigene Erfahrungen (vgl. dazu auch das Kapitel Zivilgesellschaft: Dezember 2011 bis Herbst 2012 - eine Chronik).

Im Herbst 2012, als die demonstrative Wucht der Massen auf der Strasse abnimmt und sich die zivilgesellschaftlichen Aktivitäten zu differenzieren beginnen, ist auch hier NAWALNY an vorderster Front mit dabei: Im Oktober wird er in den Koordinationsrat der Opposition gewählt - mit den meisten Stimmen. Vgl. dazu das Kapitel Strategiewechsel: Die Zivilgesellschaft seit Mitte 2012 - Teil 2 der Chronik.

Der staatlichen Macht ist dies ein Dorn im Auge. Sie reagiert mit gerichtlichen Verfahren, wo sie nur kann. Das Ermittlungskomitee - vergleichbar mit dem FBI oder dem deutschen BKA - listet Ende 2012 auf seiner Homepage die Missetaten von Alexej NAWALNY auf (siehe aktives Bild; die originale Website wurde sicherheitshalber archiviert). Von Journalisten der regierungsnahen Zeitung Iswestia auf diese - auch zeitlich - seltsame Häufung angesprochen, sagt der Sprecher des Ermittlungskomitees, Wladimir MARKIN wörtlich: "Wenn eine Person mit aller Kraft Aufmerksamkeit auf sich zieht und die Behörden reizt, wächst das Interesse an ihrer Vergangenheit."

Die Wohnimmobilien des Duma-Abgeordneten Wladimir PECHTIN

Der Bundesstaat Florida ist nicht nur bei den US-Amerikanern beliebt, die die Schönheit des Landes, das milde Klima, das Meer, die Sonne und das warme Wetter dort genießen. In Florida wohnen vor allem auch die Schönen und Reichen. Florida übt für viele eine magische Anziehungskraft aus - auf alle, die über das nötige Geld verfügen. Offenbar auch auf das Duma-Mitglied der PUTIN-Partei "Einiges Russland", Wladimir PECHTIN:

PECHTIN ist nicht irgendwer. Er ist in der Staatsduma stellvertretender Vorsitzender. Und er ist der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der PUTIN-Partei "Einiges Russland". Und obendrein fungiert er als Vorsitzender der Kommission, die für Ethikfragen des Parlaments zuständig ist. Das alles schließt - natürlich - nicht aus, dass man schön wohnen möchte. Oder nicht dürfte.

Allerdings: Ein gewisses Maß an Transparenz haben sich auch die Duma-Abgeordneten verschrieben. So muss jeder angeben, wo er Immobilien besitzt, an welchen Firmen er beteiligt ist, wieviele Autos oder Schiffe, Flugzeuge etc. jemand besitzt.

Auch der Ethikkommissionsvorsitzende Wladimir PECHTIN ist diesen Pflichten nachgekommen. Allerdings: nicht vollständig. Seine zwei Eigentumswohnungen in Florida/USA hat er nicht aufgeführt. Eine davon ist hier auf dem Bild zu sehen. Adresse: 1500 Ocean Drive, Miami Beach. Verkehrswert laut Kaufvertrag: 1.275.000 US $.

Die vollständigen Dokumente des Erwerbs des schnukkeligen Heims sind in NAWALNY's Blog dokumentiert.

Das zweite Anwesen - Adresse: 1500 Bay Road in Miami Beach und direkt auf der anderen Meerseite gelegen - hat Wladimir PECHTIN im Dezember 2012 großzügerweise seinem Sohn überschrieben - hier von oben zu besichtigen über Google Maps und nicht weniger schnukkelig (siehe aktives Bild). Verkehrswert laut Kaufvertrag: 540.900 US $.

Beim dritten Anwesen handelt es sich um ein gepflegtes Landhaus mit Swimmingpool in Ormond Beach, ebenfalls in Floriad, Verkehrswert (nur) 410.000 US $.

NAWALNY lässt auch gleich eine Art Wahlplakat für PECHTIN's Wähler herstellen, auf dem er den Immobilienbesitzer erklären lässt, weshalb man - offiziell in Russland - keine Spuren dazu finden kann. Lesen Sie selbst den übersetzten Text (aktives Bild).

NAVALNY's Veröffentlichung bleibt nicht ohne Folgen. Wladimir PECHTIN lässt - ersteinmal bis zur Klärung der Vorhaltungen - sein Mandat in der Duma ruhen. Bereits eine Woche später muss er ganz aufgeben - er verlässt das Parlament; zu groß ist der Druck auch unter seinen Parteigenossen geworden. 'Raus' - aus dem System - ist PECHTIN nicht. Er wird wenige Wochen später als Aufsichtsrat berufen: in den staatlichen Wasserkraftkonzern "RosGidro".

Auch Staatspräsident PUTIN reagiert. Er schickt ein Gesetz durch die Staatsduma, das er am 6. Mai 2012 anlässlich seines ersten Jahrestages des Wiedereinzugs ins Staatspräsidentenamt unterzeichnet. Danach dürfen Minister, Gouverneure, Bürgermeister, Staatsanwälte, die Vorstandsmitglieder der Zentralbank und anderer staatlicher Unternehmen sowie alle Spitzenbeamten ab sofort kein Geld mehr auf ausländischen Bankkonten deponieren. Gleiches gilt für den Besitz ausländischer Wertpapiere, beispielsweise Aktien, oder Staatsanleihen. Allerdings: ausländische Immobilien fallen nicht unter dieses neue Gesetz.


Kirov: zum Zweiten und zum Dritten

Um unliebsame (potenzielle) Konkurrenten auszuschalten, dafür gibt es viele Möglichkeiten. In Russland existiert ein Gesetz, nach dem Vorbestrafte für keinerlei Wahlen oder gar Staatsämter kandidieren dürfen.

Wie es der Zufall so will, holt das staatliche Ermittlungskomitee erneut einen Vorgang hervor, der bereits zwei Male abgeschlossen war: eine Ermittlung, ob bei der Sanierung der staatlichen Holzfabrik in Kirov alles mit rechten Dingen zugegangen war. Eine erste Untersuchung im Mai 2011 verlief ergebnislos: Der Staatsanwalt konnte keinerlei Anzeichen für einen nachteiligen Vermögensschaden sehen. Auch beim zweiten Male ließen sich keine Indizien finden. Doch jetzt ist alles anders: Das Ermittlungskomitee in Moskau hat die Staatsanwaltschaft in Kirov angewiesen, ein weiteres Mal den Fall zu untersuchen.

Derlei Signale werden weiter 'unten' klar verstanden und so beginnt am 16. April des Jahres 2013 tatsächlich ein Strafprozess gegen Alexej NAWALNY: Er soll in seiner Eigenschaft als damaliger Berater des liberalen Gouverneurs Nikita BELYCH 10.000 Kubikmeter Holz unterschlagen bzw. umgerechnet 16 Mio. Rubel gleich rund 400.000 Euro veruntreut haben. Darauf stehen in Russland bis zu zehn Jahren Lagerhaft.

Zu den Gerichtsterminen muss NAVALNY nun regelmäßig über Nacht nach Kirov fahren. Er wird regelmäßig von Freunden und Unterstützern begleitet, darunter beispielsweise der Duma-Abgeordnete von "Gerechtes Russland", Dmitrij GUDKOW oder Boris NEMZOW, ehemals stellvertretender Premierminister unter Boris JELTSIN.

In Kirov unter den Menschen ist sein Name praktisch unbekannt. Dafür sorgen schon die staatlichen Fernsehsender.

Auch wenn in den Verhandlungen Zeugen, darunter BELYCH, für NAWALNY aussagen und sich kein gegenteiliges Statement seitens der an der Sanierung Beteiligten finden lässt, stehen alle Zeichen auf Verurteilung. Der zuständige Richter Sergej BLINOW hat in den letzten zwei Jahren bei über 130 Prozessen nur ein einziges Mal einen Freispruch getätigt - landesweit liegt die Freispruchquote bei unter 1 Prozent, ein weltweiter Spitzen- bzw. Minimalwert.

Am letzten Tag vor der Urteilsverkündung steht dem Angeklagten ein letztes Wort zu. NAWALNY nutzt es, vergleicht das Verfahren mit einer Fernsehserie, unabhängig davon ob Komödie oder Drama, und fordert seine Anhänger auf, nicht aufzugeben: "Keiner von uns darf aufhören, die Welt besser zu machen!" Und ganz zum Schluss seiner letzten Worte:"Aber so kann das nicht weiter gehen und das kann auch nicht ewig dauern, dass ein riesiges, 140-Millionen-großes/köpfiges Land, eines der reichsten Länder auf der Welt, einer Handvoll Gaunern unterliegt. Das ist ein Missstand. Und der wird dank unserer Arbeit wieder gutgemacht." Hier geht es zum vollständigen Wortlaut von NAWALNY in deutscher Sprache.

Am 18. Juli fällt das Urteil aus, wie erwartet: 5 Jahre Haft für Alexej NAWALNY. Er wird auch gleich in Handschellen ins Gefängnis von Kirov abgeführt. NAWALNY kündigt sogleich Berufung an.

Tags drauf meldet sich öffentlich die Staatsanwaltschaft. Sie reklamiert die sofortige Inhaftierung. Solange das Berufsverfahren nicht abgeschlossen ist, müsse NAWALNY auf freien Fuß gesetzt werden. Und dies geschieht. NAWALNY kann einen Tag später zurück nach Moskau reisen. Dort wartet der Wahlkampf auf ihn. Bzw. die Wahl um das Bürgermeisteramt am 8. September.

Der Fall des Wladimir JAKUNIN

PUTIN kennt er aus seinen St. Petersburger Tagen und der hat ihn mit seinem Amtsantritt als Staatspräsident im 2000 erst zum stellvertretenden Verkehrsminister, dann zum stellvertretenden Eisenbahnmister gemacht. 2005 wurde der alte Weggefährte JAKUNIN zum Präsidenten der russischen Eisenbahnen RZD gekrönt. Und so sieht ihn NAWALNY bzw. so sehen die schnellen Züge in einigen europäischen Ländern aus:

Noch während des Strafverfahrens in Kirov bzw. zwei Tage vor dem absehbaren Urteilsspruch hat NAWALNY diesen Scoop gelandet: Enthüllungen über die privaten und unternehmerischen Geschäfte des Eisenbahnkönigs, nachzulesen in NAWALNY's Blog. Da geht es um sein herrschaftliches Immobilienanwesen, das er auf eigene Faust flächenmäßig vergrößert hat, um das weitverzweigte und undurchsichtige staatliche Eisenbahnimperium und um die persönlichen Kungeleien. Hier zwei Bilder aus dem Blog:

Konkrete Folgen hat die Veröffentlichung (noch) nicht gehabt. Die "100 Familien", die Russland dominieren und von denen NAWALNY in seinem Schlussplädoyer im Kirover Gerichtssaal gesprochen hat, sitzen fest im Sattel, genießen hohen Schutz. Dennoch: Derlei Informationen machen deutlich, dass nicht alles bleiben muss, wie es ist. Mehr Transparenz ist immer der erste Schritt zu mehr Mitsprache und Demokratie. Auch wenn dies in kleinen Schritten geschieht.

Die Wahl am 8. September 2013

Reale Hoffnungen auf einen Sieg bei den Wahlen zum Bürgermeister über die russische Metropole Moskau waren sicher übertrieben. Aber mit einem Stimmenanteil von 27% war dies weit mehr als ein Achtungserfolg. Der neue Amtsinhaber, Sergej SOBJANIN, siegte mit 51%.

Trotz des Ausgangs: Allein das Mithalten gegenüber der dominierenden 'Macht' macht deutlich, dass die bisher eingefahrenen und für viele endlos stabil erscheinenden Strukturen aufzubrechen beginnen. Auch ein kleiner Funken Hoffnung setzt sich nach und nach in Motivation und letztlich in Mitmachen um. NAVALNY kämpft ziemlich weit oben, sein Freund Maxim KATZ ganz unten.

Seither

NAVALNY ist zäh, er gibt nicht auf. Ständige Verurteilungen durch Gerichte, ständige Verhaftungen und Tage in diversen Moskauer Gefängnissen bringen ihn nicht zum Einlenken. Die staatliche Macht beginnt zu begreifen, dass der in allen staatalichen Medien verschwiegene Alexej NAVALNY sich trotzdem zu einer potenziellen Bedrohung entwickelt.

NAVALNY's Filme "Tschajka" (2015), in dem er den russischen Generalstaatsanwalt Jurij TSCHAIKA aufs Korn nimmt oder den russischen Ministerpräsidenten Dmitrij MEDWEDEW (2017), der ein Weingut in der Toskana unterhält, und NAVALNY's wöchentliche Sendung auf seinem YouTube-Kanal kratzen ununterbrochen am flächendeckenden System des Reichs von Wladimir PUTIN und seinen Truppen. Das MEDWEDEW-Video wurde bis heute immerhin 36 Millionen Male aufgrufen - ein Hit in einem Land mit 145 Millionen Einwohnern.

Im August 2020 passiert es: NAVALNY bricht während eines Rückfluges aus Sibiren (Tomsk) nach Moskau im Flugzeug zusammen. Der Flieger muss in Omsk notlanden, der Oppositionskritikernwird ins Krankenhaus gefahren, wo die Ärzte nichts feststellen können außer einer "Stoffwechselstörung". Von einer potentiellen Vergiftung können/wollen/sollen/dürfen sie nicht reden oder mutmaßen.

Mit internationaler Hilfe wird NAVALNY in die Berliner Charite ausgeflogen. Dort können die Ärzte, die sich mit Vergiftungen inzwischen auskennen, weil schon mehrere osteuropäische Menschen dort behandelt wurden, am Tag 3 ersteinmal nur feststellen, dass er vermutlich vergiftet wurde, weil Nervengifte sogenannte hit-and-run-Substanzen sind: einmal in den menschlichen Körper eingedrungen, beginnen sie zu wirken und lösen sich dann auf, spurlos in der Regel. Man kann diesen Vorgang nachträglich nur indirekt nachweisen (Details dazu an anderen Stelle und in anderem Zusammenhang unter www.ansTageslicht.de/TCP).

Ob sich eindeutig klären lässt, was passiert ist, bleibt ersteinmal ungewiss, auch wenn jetzt erfahrene Giftspezialisten mit ihrer forensischen Spurensicherung beginnen. Russlands Behörden jedenfalls wollen/sollen/können/dürfen derzeit keinen Grund für eigene Ermittlungen sehen.

(DG / LiS/ JL)