Die neue Zivilgesellschaft in Russland: ein Überblick

Wie unsere Erde und wie das All entstanden ist, dafür gibt es eine Theorie, ein Modell: den Urknall. Mit ihm entstand der gesamte Kosmos. Und die Menschheit. Wissenschaftler sind sich in dieser Erklärung weitgehend einig. Wie es dazu kam, dass von den derzeit 7 Milliarden Menschen auf der Erde rund 99% wenig zu sagen haben, wie sie leben müssen oder (eigentlich) leben wollen, dazu gibt es keine einheitlichen Erklärungen oder Theorien. Es ist auch noch gar nicht so lange her, dass sich die Menschen darüber Gedanken machen. Jedenfalls sehr viel kürzer als der Urknall. Dass (sehr) wenige Menschen über viele andere bestimmen (können), wie sie leben sollen und was sie dürfen oder nicht, hat offenbar etwas mit Macht zu tun. Macht bedeutet Stärke und die ist ungleich verteilt. Egal ob es um körperlich-physische Stärke, sprich potenzielle Gewalt geht, um Cleverness und Gerissenheit, andere über den Tisch zu ziehen, oder um Eloquenz, andere mit Worten und Attitüden dominieren zu können. 

Dies ist offenbar von Anfang an so gewesen. Allerdings: Im Laufe der Jahrhunderte begannen die ersten Menschen, diese Ungleichheit zwischen 'oben' und 'unten' in Frage zu stellen. Und das Verhältnis zwischen denen, die von oben alles bestimmen, und jenen, die dabei mitreden wollten, begann sich irgendwann (sehr) langsam zu verschieben. So wurden aus "Untertanen" immer mehr Menschen "Bürger", die an Selbstbewusstsein gewannen. Und die bei immer mehr Lebens- und Arbeitsbereichen mitreden wollten. Und dies auch getan haben. Auch wenn das oftmals nicht ohne kleine(re) oder größere Auseinandersetzungen von statten ging. Denn "Macht" zeichnet sich seit Jahrtausenden durch ein hohes Beharrungsvermögen aus - wer 'oben' ist und diktieren kann, wer von Privilegien und Statussymbolen lebt, möchte selten freiwillig diese Position wieder räumen. Das ist auch die Erkenntnis in allen sozialwissenschaftlichen Disziplinen - gut und knapp beschrieben im WIKIPEDIA .
Der Gegenpart zur "Macht", der (nur) zahlenmäßig dominiert, ist das, was man auch als "Zivilgesellschaft" bezeichnet:

  • normale Menschen ohne nennenswerte Macht, oft auch als Zivilisten bezeichnet
  • Bürger, die sich für andere engagieren
  • Bürgerinitiativen
  • Nicht-Regierungsorganisationen (NGO's)
  • und überhaupt alle sozialen Bewegungen, die - organisiert oder auch nicht - neue Ideen und Vorschläge hervorbringen und diese auch umzusetzen versuchen.

Wie sich diese "Zivilgesellschaft" im Laufe der letzten Jahrhunderte in Deutschland herausgebildet hat, skizzieren wir unter Wie in Deutschland die Zivilgesellschaft entstand. Dort gehen wir auch darauf ein, weshalb vieles hierzulande schneller ging als in Russland: In Deutschland gab es eine totale Kapitulation.

1945 war dann gleichzeitig der totale Neustart.  

Dass es auch in Russland den Wunsch nach Veränderungen gibt, zeigt dieses Graffito aus Irkutsk aus dem Jahre 2009.

Wir rekonstruieren die Entstehung der neuen Zivilgesellschaft in Russland seit Ende des Jahres 2011 - mit den Wahlen zum Parlament, der Staats-Duma. Es war das Jahr, in dem andernorts viele neue Initiativen, Bewegungen und sogar "Revolutionen", sprich Veränderungen angestoßen wurden: in einigen arabischen Ländern, aber auch international durch "Occupy". Selbst in klasisch-demokratischen Staaten wir Italien oder Israel gingen Menschen auf die Strasse und campierten auf öffentlichen Plätzen, um ihren Forderungen gegenüber der "Macht" Nachdruck zu verleihen. Und es war das Jahr von Fukushima- in einem Land, wo jetzt erstmals "grüne" Bewegungen und Anti-Atomkraft-Kräfte entfesselt werden; etwas, was es in Deutschland schon vor 40 Jahren gegeben hatte. Aber Veränderungen brauchen manchmal (etwas mehr) Zeit.

Die Ereignisse in Russland bis zum Spätsommer 2012 haben wir rekonstruiert unter Zivilgesellschaft seit Dezember 2011: eine Chronik .

Seit Mitte 2012 gibt es andere Entwicklungen, die sich sehr viel stiller vollziehen: zivilgesellschaftliche Aktivitäten 'ziemlich weit unten' und nahe bei den Menschen dran. Dies haben wir zusammengestellt unter Strategiewechsel: Die Zivilgesellschaft seit Mitte 2012 - Teil 2 der Chronik .

Die aktiven Macher dieser neuen sozialen und politischen Bewegung sind rechts in der Navigationsleiste portraitiert. Zwei herausragenden Figuren, die mit sehr unterschiedlichen Konzepten Veränderungen zu bewirken versuchen, aber dennoch zusammen arbeiten, haben wir jeweils ein gesondertes Kapitel gewidmet:

  • sowie Alexej NAWALNY , der sich 2013 um das Amt des Bürgermeisters in Moskau beworben hatte.

Zivilgesellschaft im Jahr 2012 in Moskau; Fotos: KA

Dass Veränderungen und zivilgesellschaftliches Engagement oft im ganz Kleinen beginnen (müssen), zeigen wir an einem Vorfall, der in Russland und insbesondere in großen Städten, häufiger vorkommt und sich an der Frage festmacht: Wer hat Vorfahrt? Bonzen oder normale Menschen? . Konkret geht es darum, ob ein Notfallrettungswagen mit Blaulicht fahren darf, wenn die Strasse durch die Polizei blockiert wird, weil irgendein Politiker oder hochrangiger Staatsmann mit seinem sogenannten Ehrengeleit erwartet wird.

Da wir im DokZentrum ansTageslicht.de bereits andere Beispiele zivilgesellschaftlichen Engagements dokumentiert haben, finden Sie diese Aktivitäten zusammengefasst als Link mit einer Kurzbeschreibung unter Andere zivilgesellschaftliche Beispiele.

Die Bearbeiter dieser Dokumentation sind in diesem Fall russische Studenten, die am Aufbaustudiengang des Freien Russisch-Deutschen Instituts für Publizistik an der Moskauer Staatlichen Universität (Lomonosov-Universität) teilnehmen. Sie sehen sich selbst als Teil der sich verändernden Zivilgesellschaft.
 
Wenn Sie dieses Thema direkt aufrufen oder verlinken wollen, können Sie dies unter www.ansTageslicht.de/Russland tun.

(Das russisch-deutsche Zivilgesellschaftsteam: AK, KA, AB, AM, SvetA, PR; agu, AZ, DG, bond, LiS, JL)