Die Berichte der SZ, von kicker und der Ruhr Nachrichten, 28.01.2004

von Freddie RÖCKENHAUS

„Wir sind kein Sanierungsfall“

Süddeutsche Zeitung

Michael Meier, 54, ist seit 1989 für Borussia Dortmund tätig. Zunächst als geschäftsführendes Vorstandsmitglied, seit Oktober 2000 auch als Geschäftsführer der Borussia KG auf Aktien. Mit seinem Namen, wie dem des Präsidenten Gerd Niebaum, ist die Expansion des Vereins zur zweiten Wirtschaftskraft der Bundesliga neben dem FC Bayern verbunden -, aber auch die finanzielle Krise, in die die Borussia offenbar hinein manövriert wurde. Meier, der zunächst beim 1. FC Köln (1981 bis 1987) und dann bei Bayer Leverkusen (1987 bis 1989) im Management tätig war, spricht im folgenden Interview über die Finanzsituation des Tabellensechsten.
SZ: Herr Meier, wann haben Sie das erste Mal das Gefühl gehabt, dass Sie mit Borussia Dortmund in eine finanzielle Schieflage geraten?
Michael Meier: Zuerst war das nach dem Unentschieden im Mai gegen Energie Cottbus. Wir mussten ja, als Resultat des verfehlten zweiten Bundesliga-Platzes, in die Qualifikationsspiele zur Champions League. Obwohl wir die Qualifikation schon zweimal erfolgreich überstanden hatten, kann man rückblickend sagen: Das hätte der Zeitpunkt für Maßnahmen sein können. Wir haben aber dann das Risiko in Kauf genommen.
SZ: Sie haben Torwart Jens Lehmann an Arsenal London verkauft, kurz danach aber, wegen der Verletzungsserie, Spieler nachgekauft. Wann wussten Sie, dass die Sache aus dem Ruder läuft?
Meier: Zunächst haben wir im Einklang mit den Spielern den zwanzigprozentigen Gehaltsverzicht hingekriegt. Das hat es vorher nie irgendwo gegeben. Wir haben außerdem darauf gesetzt, zusätzliche Marketingerlöse zu erzielen, und wir haben darauf gesetzt, dass wir eine werthaltige Mannschaft haben.
SZ: Fest steht, dass Sie, um die Löcher zu stopfen, gerne jetzt, in der Winterpause, Spieler verkauft hätten.
Meier: Richtig ist: Der Markt ist derzeit nur offen für eine sehr begrenzte Anzahl von Spielern. Das heißt: Jeder, der derzeit mal einen für gutes Geld verkaufen kann, das glauben Sie mir bitte, der tut es. Der Verkauf von Spielern gehört ja nun zu den originären Einnahmefeldern eines Fußballvereins.
SZ: Sie haben in den letzten Jahren mindestens 230 Millionen Euro an außerordentlichen Einnahmen gehabt. Börsengang, Stadionverkauf, Vermarktungsrechte, Namensrechte für Ihre Sportmarke goool.de an den Gerling-Konzern. Trotzdem müssen Sie jetzt noch Spieler verkaufen. Wie erklären Sie das?
Meier: Es ärgert mich, wenn uns nachgesagt wird, wir hätten Geld verbrannt. Wir haben auch Werte geschaffen. Wir hatten zum Zeitpunkt des Börsengangs im Oktober 2000 Verbindlichkeiten in Höhe von 72 Millionen Euro, davon rund 25 Millionen für das Stadion. Wir haben dann 130 Millionen aus dem Börsengang bekommen und davon erst mal 20 Prozent in unsere Kreditlinien zurück geführt. Das Bild bei Ihnen ist allerdings, dass wir nur Löcher gestopft haben. In Wahrheit haben wir aber auch unseren Besitz am Stadion auf 75 Prozent erhöht, haben Finanzanlagen gekauft, das Hotel Lennhof. Und wir haben Spieler gekauft. Vielleicht haben wir zum falschen Zeitpunkt zu viel in Spieler investiert.
SZ: Halten wir bitte mal fest, dass Borussia schon zum 30. Juni 2000, also kurz vor dem Börsengang, rund 50 Millionen Verbindlichkeiten aus vorherigen Spielertransfers und -gehältern hatte.
Meier: Vergessen Sie bitte nicht die Aktivseite der Bilanz. Wir hatten in den frühen neunziger Jahren im Vorgriff auf zu erwartende Einnahmen investiert. Und wir sind belohnt worden. 1993 haben wir unerwartet das Uefa-Cup-Finale erreicht und damals 25 Millionen Mark an Fernsehgeldern kassiert. Wir haben die internationalen Einnahmen immer wieder in die Mannschaft reinvestiert, aber auch in das Stadion. 2000 fanden wir uns dann aber in der Situation, dass wir praktisch eine neue Mannschaft brauchen.
SZ: In dem Jahr, also drei Jahre nach dem Champions-League-Sieg 1997, wären Sie beinahe abgestiegen.
Meier: Richtig. Man hatte uns nach dem Champions-League-Sieg gesagt: Ihr müsst jetzt vier, fünf Spieler auswechseln. Wir hatten damals vielleicht nicht die Reife, diesen Schnitt zu wagen. Im Nachhinein kann man sagen, dass ein Auswechseln uns damals rentabler und frischer gemacht hätte.
SZ: Aber wir waren im Jahr 2000. Wo genau lag der Knackpunkt?
Meier: Nachdem wir es 1997 verpasst hatten, die Mannschaft umzuformieren, standen wir 2000 am Abgrund. Die Situation damals, als wir fast abgestiegen wären, habe ich als noch dramatischer in Erinnerung als die heutige. Es war ein Alptraum. Dann bekamen wir mit dem Börsengang sehr viel Geld in die Hand und haben in einer Zeit hoch investiert, als der Transfermarkt noch intakt war.
SZ: Wir kommen jetzt zu der eigentlichen Phase des Geldverbrennens?
Meier: Wir haben kein Geld verbrannt. Aber wir haben zu einem Zeitpunkt hoch in den Kader investiert, von dem heute alle Schlaumeier wissen, wir inklusive, dass es der falsche Zeitpunkt war. Damals waren die Preise auf dem Höhepunkt. Seit der Kirch-Pleite müssen wir sagen: Das holt uns jetzt ein. Von Kirch hätte die Bundesliga dieses Saison 470 Millionen Euro bekommen - tatsächlich bekommen wir nur 290 Millionen. Seit dem berühmten Bosman-Urteil sind zudem Handgelder üblich geworden, die zu einer Kostenexplosion geführt haben.
SZ: Waren Sie nicht einfach zu wachstumsgläubig? Ihr Präsident Gerd Niebaum ist schon 2001 darauf hingewiesen worden, dass sich das Kirch-Desaster ankündigt. Da gab es längst das Desaster des Neuen Marktes. Er hat die Warnungen in den Wind geschlagen.
Meier: Lesen Sie mal Zitate aus den Zeiten, als die Champions League eingeführt wurde. Da standen noch ganz andere Summen im Raum. Oder Zitate über Kirch, noch kurz vor dessen Zusammenbruch. Aber unabhängig davon bin ich nach wie vor überzeugt: Wir holen uns unsere Investitionen wieder zurück. Das Interesse an Rosicky hat unter Beweis gestellt, dass unsere Mannschaft weiter großen Marktwert hat. Er wird heute auf über 100 Millionen Euro eingeschätzt.
SZ: Der rechnerische Wert der BVB-Mannschaft, den Sie ja als Eigenkapital verbuchen, ist doch rein virtuell. Wo keine Käufer sind, haben die Spieler de facto gar keinen oder einen weitaus geringeren Wert. Sie werden am Ende Spieler verschenken müssen, um sie von der Gehaltsliste zu bekommen.
Meier: Chelsea London sucht jedenfalls einen. Im Laufe der Saison haben schon viele Vereine Interesse an Spielern von uns bekundet.
SZ: Wenn wir das Eigenkapital des BVB mal weiter durchgehen: Das Stadion ist jedenfalls wieder weg, nachdem Ihnen 75 Prozent schon gehört haben.
Meier: Das Bardepot von ursprünglich 48,5 Millionen, das wir für den späteren Rückkauf des Stadions reserviert haben, das ist ja da. Es ist inzwischen auf 52 Millionen angewachsen. In unseren jährlichen Leasingraten für das Stadion sind außerdem alle Verbindlichkeiten enthalten, die wir aus dem Stadionausbau noch hatten. Wir hatten die letzte Ausbaustufe mit 25 Millionen fremdfinanziert. Aber das Stadion ist natürlich ein kolossaler Wert, der geschaffen wurde.
SZ: Das Stadion ist wunderbar. Aber es gehört nicht mehr dem BVB. Sie haben sich mit dem Doppelpack aus neuerlichem Stadionausbau und sehr teurer Mannschaft verhoben. Und deshalb das Stadion in einem komplizierten "Sale & lease-back"-Verfahren an eine Fondsgesellschaft abgegeben.
Meier: Die dritte Ausbaustufe hat 40 Millionen Euro gekostet, insgesamt sind 120 Millionen an Investitionen ins Stadion geflossen.
SZ: Wir nehmen Ihnen nicht ab, dass die extravagante Leasing-Lösung günstiger für den BVB kommt, als es eine brave Hypothekenlösung wie beim Häuslebauer gewesen wäre. Sie haben das Ganze gemacht, um sich durch den Verkauf Liquidität zu verschaffen.
Meier: Das hat keiner bestritten.
SZ: Viele Vereine besitzen inzwischen ihr Stadion. Das gibt Sicherheit. Gerade englische Klubs bauen ein Stadion nach dem anderen.
Meier: Ich persönlich würde, trotz aller Bedenken, das Stadion auch lieber besitzen.
SZ: Das Muster scheint in letzter Zeit immer dasselbe: Es gibt ein Vorziehen von Einnahmen, also von flüssigen Geldmitteln, auf Kosten einer immer höheren Kreditbelastung.
Meier: Das ist alles noch beherrschbar. Aber wir müssen uns in Zukunft, je nachdem, ob wir noch europäisch spielen, an ein Gehaltsvolumen von 30 bis höchstens 50 Millionen für die Mannschaft gewöhnen. Derzeit zahlen wir 57 Millionen.
SZ: Geben Sie zu viel für Spieler aus?
Meier: Ein klares Ja.
SZ: Warum?
Meier: Weil wir keine ausreichende Flexibilität mehr in unseren Gehältern haben. Die Höhe der Gehälter ist nur gerechtfertigt, wenn wir dauerhaft Champions League spielen. Sonst leider nicht. Das macht den Unterschied zum FC Bayern aus. Die haben relativ durchgängig Champions League gespielt - wir hatten zu viele Aussetzer. Das holt uns jetzt ein.
SZ: Wenn Ihre Bilanzen nicht lügen und man die Sondereffekte rausrechnet, etwa solche besonderen Erträge wie den Stadionverkauf, dann haben Sie selbst in einem Superjahr wie 2002/03 noch 25 Millionen mehr ausgegeben, als sie im Normalbetrieb eingenommen haben.
Meier: Ich kann nicht mit 15 Millionen für die Mannschaft kalkulieren und dauerhaft Champions League spielen wollen. Wer den Ehrgeiz hat, auf dieser Klaviatur mitzuspielen, muss Risiken akzeptieren. Das gehört leider zum Geschäft.
SZ: Sie haben kürzlich gesagt, sie seien vom Naturell her eher ein Buchhalter, Gerd Niebaum sei ein Unternehmer, der sich auch mal was Waghalsiges traue. Hätten Sie mit dem vielen Börsengeld was anderes gemacht? Was auf die hohe Kante gelegt?
Meier: Ich lasse mich nicht auseinander dividieren. Es hat Vereinen immer gut getan, zwei unterschiedliche Pole in der Führung zu haben. Zum Unternehmen gehört mehr, als nur Business-Pläne zu schreiben. Aber ich frage mich natürlich schon mal: Warum kriegen wir die ganze Wucht des Problems ab?
SZ: Ihr Präsident hat vor einigen Tagen gesagt, er hoffe, auch ohne die berühmt gewordene Anleihe beim Londoner Finanzmakler Schechter die Saison zu Ende finanziert zu bekommen.
Meier: Mit zusätzlichen Effekten, wie etwa Transfererlösen oder zusätzlichen Marketingerträgen.
SZ: Würden Sie eine Schechter-Anleihe überhaupt noch bekommen?
Meier: Wir haben in Abstufung mehrere Optionen. Eine könnte Schechter sein. Die Verteufelung so einer Anleihe ist auch falsch. Es mag allerdings sein, dass die Addition aller Belastungen bei manchen den Eindruck erweckt, dass eine Anleihe ein Fehler wäre.
SZ: Die Befürchtung vieler BVB-Fans, dass Sie keine nennenswerten Reserven auf der hohen Kante haben, um die Einnahme-Ausfälle im Bereich von 30 bis 40 Millionen zu kompensieren, ist aber nachvollziehbar?
Meier: Wenn ihnen 30 Millionen Euro, also 60 Millionen alte Währung fehlen, ist die Situation schwierig. Das wirft alle Planungen, die man hatte, über Bord. Da muss man sich was einfallen lassen.
SZ: Warum gehen Sie nicht zur Bank und nehmen kurzfristig Kredit auf?
Meier: Wir kriegen schon Geld von der Bank, das ist ja bewiesen. Aber es ist, das wird ihnen jeder mittelständische Betrieb bestätigen, schwieriger geworden, sich über Banken zu finanzieren. Nicht nur für uns. Erst recht in dieser Größenordnung. Deswegen muss man auf andere Instrumente zurück greifen. Das könnte auch eine Anleihe sein.
SZ: Zu der Berichterstattung in der Süddeutschen Zeitung und im Kicker über die Lage in Dortmund haben die Informationen aus dem Inneren des Klubs maßgeblich beigetragen. Zum Teil kamen sie von aktuellen oder ehemaligen Gremiumsmitgliedern, die sich offenbar keinen Rat mehr wussten, als ihr detailliertes Insiderwissen mitzuteilen. Sagt das nicht etwas über das Regime aus, das es im Verein geben muss?
Meier: Das ist ein möglicherweise ein Problem. Diese Lektion ist gelernt, denke ich. Aber Gremiumsmitglieder, die an die Öffentlichkeit gehen, verstoßen trotzdem gegen einen Kodex. Der Erfolg hat viele Väter - im Misserfolg dagegen fällt manchem auf, was ihm schon immer nicht gepasst hat. Wir könnten momentan wirklich ein geschlosseneres Erscheinungsbild brauchen.
SZ: Ist Borussia zur Zeit ein Sanierungsfall, wie es einige Fachleute in die Debatte werfen?
Meier: Ich würde mich gar nicht gegen eine Sanierung stemmen. Es gibt viele Begriffe, die die Situation beschreiben. "Sanierungsfall" aber finde ich nicht angebracht. Dazu ist die Substanz dieses Unternehmens einfach zu groß. Mit einem glücklichen und geschickten Management kann man noch eine Geschäftspolitik hinbekommen, die den gewohnten Stellenwert des BVB weiterhin aufrecht erhält. Bei einem Sanierungsfall würde ich von einer völligen Umkehr ausgehen. Das hielte ich für übertrieben.