Ein ungewöhnlicher journalistischer Doppelpass

Das Zusammenspiel der Akteure RÖCKENHAUS und HENNECKE und wie es dazu kam

 

Ungewöhnlich ist die Zusammenarbeit zwischen Freddie RÖCKENHAUS, der damals als freier Journalist für die Süddeutsche Zeitungschreibt, und dem langjährigen Berichterstatter des kicker in Dortmund, Thomas HENNECKE. Ungewöhnlich deshalb, weil alle Journalisten an und für sich alleine auf der „Jagd nach der exklusiven Story“ sind.

Die Sportjournalisten kennen sich schon seit längerer Zeit, da beide häufig über den BVB berichten, RÖCKENHAUS dabei eher aus „Liebe zum BVB“.

Durch ihre langjährige Arbeit im Umfeld von Borussia Dortmund haben beide gute und enge Kontakte zu einflussreichen Gremienmitgliedern des Vereins. Dank dieser Informanten können RÖCKENHAUS und HENNECKE ein enormes Insiderwissen anhäufen, was sich im weiteren Verlauf als ‚unbezahlbar’ herausstellt.

Die Recherchen beginnen zunächst unabhängig voneinander. Nach dem Scheitern in der UEFA Champions-League-Qualifikation gegen den belgischen Vertreter FC Brügge im August 2003 fällt der Blick von HENNECKE auf einen fassungslosen Präsidenten NIEBAUM.
Ahnen NIEBAUM und Manager MEIER in dieser schweren Stunde das Unheil kommen? Was heißt das "Aus" in der lukrativen Champions-League für den Verein?
Gut einen Monat später werden HENNECKE und RÖCKENHAUS durch die Maßnahme der Clubführung, den Spielern 20% des Gehalts zu kürzen, stutzig und beschließen, sich die Geschäftsberichte der „Borussia Dortmund GmbH & Co. Kommanditgesellschaft auf Aktien“ einmal genauer anzuschauen.
Nach einer gewissen Zeit – Geschäftsberichte sind für Sportjournalisten nicht immer Tagesgeschäft – tauschen sie ihre bisher gesammelten Informationen aus. Dabei stellen sie fest, dass es eine gemeinsame Schnittmenge der Fakten von ca. 80% gibt. Dieser Wert ist eine sehr gute Basis für weitere Recherchen, da beide unterschiedliche Quellen haben, diese aber identische Informationen preisgeben.
Als es darum geht, wie nun die konkrete Zusammenarbeit aussehen kann, planen beide zunächst, gemeinsam zu publizieren. Dies soll in Form mehrerer kleiner Stories geschehen. An eine Kooperation denken beide zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Von den Vorteilen einer Kooperation überzeugt, entscheiden sich RÖCKENHAUS und HENNECKE schließlich, diese folgender Maßen durchzuführen:

  • die Recherche betreiben beide unabhängig 
  • es soll gemeinsam publiziert werden 
  • anzapfen unterschiedlicher Quellen, was die Ergebnisse "sattelfester" macht 

Ein nicht unerheblicher Grund für die Kooperation ist die Möglichkeit, sich bei Maßnahmen des Vereins gegen die Berichterstattung besser zur Wehr setzen zu können. Wie sich später zeigen wird, ist diese Vorsicht berechtigt.
HENNECKE muss bei seinem Arbeitgeber große Überzeugungsarbeit leisten, bis diese Kooperation genehmigt wird. Eine derartige Zusammenarbeit hat es bis dato nicht gegeben – die Widerstände sind also nachzuvollziehen.
Die Recherchen kommen, nach Anfangsschwierigkeiten aufgrund nicht auskunftsfreudiger Informanten, dann doch zügig voran. Noch vor Weihnachten – nach gründlicher Untersuchung der Verlässlichkeit der Quellen und sorgfältiger Einarbeitung in das Thema – lässt man – zeitgleich – die Bombe platzen:
Unter den Titeln

berichten RÖCKENHAUS und HENNECKE am 22.12.2003 erstmals über große finanzielle Schwierigkeiten und eine ausgesprochen heikle wirtschaftliche Situation. Ihre Recherche haben ergeben, dass der BVB in jener Saison große finanzielle Verluste erwirtschaften wird und dass seit dem Börsengang im Jahr 2000 über 200 Mio. Euro ausgegeben wurden. Auch ihr ausgiebiges Studium der Vereins-Bilanzen zahlt sich aus: sie finden heraus, dass die Geschäftsführer des BVB mit Bilanztricks arbeiten: diese verbuchen die Einnahmen aus einem zukünftigen Ausrüster-Vertrag über 38 Mio. Euro in die aktuelle Bilanz, die dadurch natürlich ‚geschönt’ wird (siehe dazu unsere Chronologie).

Nach weiteren Veröffentlichungen – Ergebnisse der umfangreichen Recherchen – kommt es von Seiten der BVB-Clubführung wiederholt zu Versuchen, die kritische Berichterstattung durch Einschüchterungen der Journalisten zu verhindern. Diese Einschüchterungsszenarien solidarisieren RÖCKENHAUS und HENNECKE jedoch und beflügeln eine noch engere Zusammenarbeit. So halten sich beide Journalisten zunächst noch mit dem Austausch von Quellen und Namen von Informanten zurück. Im Laufe der Nachforschungen jedoch fällt diese Barriere und bis auf wenige individuelle Kontakte können sowohl RÖCKENHAUS als auch HENNECKE auf die Ergebnisse der Recherchen des jeweils anderen zurückgreifen.
Bei ihren gemeinsamen Berichterstattungen nutzen sie mehrmals die Möglichkeit von Vorabveröffentlichungen via dpa, beispielsweise vor der Veröffentlichung der ersten großen Story am 21.12.2003. Davon verspricht sich das Duo eine größere Glaubwürdigkeit. Zudem erhoffen sie sich durch diese Vorgehensweise ein größeres Feedback in der Öffentlichkeit und unter Kollegen.

RÖCKENHAUS und HENNECKE entscheiden, dass Enthüllungen und Neuigkeiten, die größere Stories rechtfertigen, immer Montags veröffentlicht werden sollen, wenn die SZ und der kicker mit neuen Ausgaben erscheinen - kleinere Geschichten dagegen unter der Woche nur in der SZ.

Die generelle Zusammenarbeit umfasst in regelmäßigen Abständen zum einen den Austausch der notwendigen Rechercheschritte, zum anderen das Festlegen, was in welcher Reihenfolge publiziert wird. Schließlich wird auch eine gemeinsame Vorgehensweise gegen die Einschüchterungsversuche beschlossen.

Die Zusammenarbeit zwischen den beiden Journalisten ist so eng, dass es zeitweise schien, als besteht zwischen ihnen eine „Standleitung“. HENNECKE meint im Rückblick sogar, er hätte während dieser Zeit „mehr mit Freddie gesprochen als mit seiner Frau“.

Beiden Journalisten bringt diese Geschichte die Ehrung mit dem Henri Nannen Preis für die beste investigative Leistung des Jahres 2005 ein. Ein schöner Abschluss einer ungewöhnlichen Zusammenarbeit, der jedoch so gar nicht geplant war. Gerade für RÖCKENHAUS war diese Arbeit eine Herzensangelegenheit, um Schaden von Borussia Dortmund in letzter Konsequenz abzuwenden, da ihm der Verein am Herzen liegt, wie er betont.

 
(vs)