Thomas KUBAN: Verdeckte Recherche als Videokamera(d)

von Thomas KUBAN

Thomas KUBAN hat den nachfolgenden Bericht seiner Recherchen in der rechten Szene für die Zeitschrift message geschrieben (Ausgabe 1/2008). Er gibt unmittelbare Einblicke in seine Vorgehensweisen und die vielen Schwierigkeiten, mit aufwendigem Arbeitsseinsatz solche engagierten und nicht ungefährlichen Aufklärungsarbeiten zu leisten. "Thomas Kuban" gibt es nicht mehr: weil er für seine Themen keine zahlenden Abnehmer mehr findet, hat er Anfang 2008 seine Undercovcer-Arbeit beendet.


Ich kenne Deinen Namen, ich kenne Dein Gesicht. Du bist die Faust nicht wert, die Deine Nase bricht.“ Diese Liedzeilen der Neonazi-Band „Noie Werte“ richten sich gegen Journalisten, wie Frontmann Steffen Wilfried Hammer bei Konzerten erklärt. Von Beruf ist er Rechtsanwalt in Reutlingen. Auf ihn fokussierte sich meine erste Video-Recherche mit eigener Kameratechnik: am 4. Oktober 2003 im elsässischen Hinsbourg.

Den „Noie Werte“-Song gegen die Medien habe ich mitgegrölt, um nicht aufzufallen. Erstmals stand ich im tobenden Mob vor der Bühne, als vermeintlicher Nazi unter Nazis. Es war eine irre und letztendlich unbeschreibliche Situation: untererkannt unter jenen zu feiern, denen ich im Alltag aus dem Weg gehe. Das sprichwörtliche Bad in der Menge geriet zum Wechselbad der Gefühle: Die anfängliche Erleichterung, ohne Körperfilze durch den Eingang gekommen zu sein, wuchs teilweise zu einem Triumphgefühl an. Doch die Angst, entdeckt zu werden, meldete sich immer wieder zurück. Nach jedem Blickkontakt mit einem Skinhead stellte ich mir die Frage: „Schöpft der Verdacht?“ Allgegenwärtig war zudem die Sorge, ob die Technik funktioniert und die Kamera richtig ausgerichtet ist – zurecht, wie sich später herausstellen sollte...

Der Fahrt ins Elsass waren fünf Recherche-Jahre im Neonazi-Bereich vorausgegangen. Eine Skinhead-Party nahe meiner Wohnsiedlung hatte im Jahr 1998 mein Interesse an der Szene geweckt. Wenige Wochen später lernte ich zufällig einen „Nazi-Jäger“ kennen, der ein Archiv zum Thema aufgebaut hatte. Er vermittelte mir Grundlagen-Wissen, kopierte mir Skin-Zines und schickte mir Veranstaltungshinweise.

„Nationale Info-Telefone“ waren mein erstes Informations-Medium. Sie wurden zunehmend vom Internet abgelöst, dessen Foren wie geschaffen waren, um mit Pseudonymen zu experimentieren. Meine Legenden waren meist nahe an der Realität: Begonnen habe ich als junger Szene-Einsteiger, um ungeniert Fragen stellen zu können. Später habe ich als Skinhead-Veteran CD-Kritiken und Konzert-Berichte geschrieben, die Zweifel an meiner Szene-Zugehörigkeit erst gar nicht aufkommen ließen. Ich habe mit bis zu 40 Identitäten gleichzeitig gearbeitet – mit einzelnen bis zu fünf Jahre lang. Insider-Infos, die ich unter einem Pseudonym gewonnen hatte, konnte ich unter anderen Namen einsetzen, um neue Identitäten aufzubauen. Den Mail-Accounts folgte eine Vielzahl von Handys, was die Recherche-Kosten steigen ließ.

NPD-Feste mit Liedermachern gehörten zu den ersten Veranstaltungen, in die ich mich hineinwagte – vorzugsweise Open-Airs, die Flucht-Möglichkeiten boten. Ich riskierte es, als Fremdkörper aufzufallen: schon alleine wegen meiner leicht wuscheligen, da gelockten Haare. Junge Neonazis hatten damals kaum Normalo-Frisuren, wie es heute oft der Fall ist.

Die „Nationaldemokraten“ boten sich für den Einstieg in eine verdeckte Recherche an. Sie traten und treten gegenüber Unbekannten kontaktfreudig auf, weil sie Wähler gewinnen wollen. Neue Sympathisanten werden großzügig mit Info-Material versorgt. Mitglieder von „Freien Kameradschaften“ reagieren hingegen misstrauisch auf Fremde.

Um junge Leute zu rekrutieren, hat sich die NPD zunehmend dem Bereich angenähert, der mich vor allem interessierte: der neonazistischen Skinhead-Musik-Szene. Deren Konzertfahrten mit konspirativen Handy-Nummern und Vorab-Treffpunkten gleichen einem Räuber- und Gendarm-Spiel. Das reizt nicht nur Jugendliche, sondern auch unter Recherche-Gesichtspunkten.

Als beim „Pressefest“ des NPD-Verlags „Deutsche Stimme“ im Sommer 2003 unter anderem die Bands „Confident of Victory“ und „Nordfront“ spielten, hatte ich – ohne Kamera – schon eine Vielzahl von Konzerten in verschiedenen Ländern Europas besucht. Nur mit dem Verkauf der Recherche-Ergebnisse wollte es nicht richtig klappen. Selbst, wenn mal ein Bericht im Politik-Teil einer überregionalen Tageszeitung zu platzieren war, fiel die finanzielle Bilanz nach folgendem Muster aus: Investitionen von 500 Euro wurden mit Einnahmen in Höhe von 150 Euro honoriert. Erschwerend wirkte es sich aus, dass ich aus Sicherheitsgründen versuchte, anonym zu veröffentlichen. Ich hatte folglich nie die Chance, mir „einen Namen zu machen“. Selbst ein Pseudonym schien mir riskant zu sein, weil es den Neonazis Anhaltspunkte bietet, an was ich arbeite. Und das erhöht die Gefahr einer Enttarnung.

Die Idee, ein Neonazi-Konzert mit versteckter Kamera zu filmen, entstand im Sommer 2003. Ein Kollege, mit dem ich einmal bei einem Rechtsrock-Gig gewesen war, kam zu einem politischen Fernseh-Magazin. Es war die Zeit, als die deutsche Neonazi-Kultband „Landser“ vor Gericht stand. Die TV-Redaktion wollte zeigen, was in der Skinhead-Szene los ist. Mit einem Redakteur, der eine versteckte Funk-Kamera am Körper trug, fuhr ich zu einem konspirativen Konzert. Leider entstanden Konflikte in Sicherheits-Fragen – die eigentlich vorab geklärt worden waren... Zudem versagte die Technik. Es gab am Ende keine fünf Sekunden sendefähiges Material.
Als einige Wochen später bei dem Münchner Neonazi-Führer Martin Wiese Sprengstoff sichergestellt wurde, habe ich sämtliche Polit-Magazine in Deutschland angeschrieben und sie auf eine mögliche Video-Recherche in der Skinhead-Musik-Szene hingewiesen – der Szene, in der junge Leute für den militanten Neonazismus begeistert werden. Einige meldeten sich nicht, andere sagten ab (eine Redaktion bedankte sich für die „Zuschauer-Zuschrift“...). Spiegel-TV und Stern-TV äußerten als einzige Interesse.

Weil Spiegel-TV zuerst reagiert hatte, kam ich mit dem Hamburger Magazin ins Geschäft. Ein Freier Kameramann, ein Recherche-Kollege und ich besuchten im September ein Konzert in Lockhausen, in einem Stadtteil von Bad-Salzuflen. Die Kamera-Ausrüstung funktionierte. Aufgrund der Akku-Laufzeit waren die Aufnahmen jedoch auf eine gute halbe Stunde begrenzt. Das reichte inhaltlich noch nicht für einen Fernseh-Beitrag.

Ich schlug daher vor, am 4. Oktober ein internationales Konzert zu drehen, das Deutsche im Elsaß planten. Spielen sollte unter anderem „Noie Werte“ mit dem singenden Rechtsanwalt und eine „Überraschungsband“. Ich spekulierte auf die süddeutsche Gruppe „Race War“, gegen die in Deutschland ermittelt wurde – deshalb agierten die Musiker besonders konspirativ.

Das Konzert interessierte Spiegel-TV. Aus Sicherheitsgründen beschloss die Redaktionsleitung jedoch, von einem Dreh abzusehen. Zwei Monate zuvor war ein Kameramann beim „Deutsche Stimme“-Pressefest krankenhausreif geprügelt worden. Das Risiko eines verdeckten Einsatzes in Frankreich war unkalkulierbar groß – es drohte Lebensgefahr.

Die Chance auf ein erstes Fernseh-Projekt bewog mich dazu, auf eigene Faust zu drehen. Dank der Vermittlung zweier Kollegen bekam ich fünf Tage vor dem Konzert Kontakt zu einem Recherche-Profi, der „versteckte Kameras“ vermietete – Top-Technik aus dem Ausland. Als ich ihm mein Vorhaben schilderte, war er so begeistert, dass er mir anbot, eine Kamera zu verkaufen. Noch am selben Abend fuhr ich durch halb Deutschland, um die Ausrüstung zu holen. Zwei Tage später kam das Aufnahme-Gerät.

Beim Technik-Test am „Tag der Deutschen Einheit“ merkte ich, dass mir ein Kabel fehlte. Trotzdem fuhr ich abends wie geplant nach Südwestdeutschland. Am nächsten Morgen fuhr ich vom Elektronik-Markt direkt zu einem Friseur, um mir eine Glatze schneiden zu lassen. Ich sollte wie ein Neonazi aussehen – vom wegrasierten Scheitel bis zur Springerstiefel-Sohle.

Am Nachmittag war ich fertig verkabelt. Das Objektiv in der Größe eines Stecknadelkopfes linste zu einem Knopfloch meines schwarzen „Lonsdale“-Polo-Hemdes heraus, das mit seinen roten und weißen Streifen am Kragen die Farben der altdeutschen Flagge aufwies. Den untersten Knopf hatte ich abgeschnitten. Mangels Funk-Modul hing das viel zu große Aufnahmegerät am Gürtel. Es maß 15 auf 9 auf 3,5 Zentimeter – die Bomberjacke bedeckte es. Falls im Eingangsbereich auf Waffen gefilzt worden wäre, hätte ich umdrehen müssen. So weit, so schlecht – doch das Schlimmste war, dass die Kamera plötzlich kein Signal mehr abgab. Nach vergeblicher Ursachen-Suche brach ich verspätet ins Elsass auf. Gerade noch rechtzeitig kam ich am Vorab-Treffpunkt an, wo Neonazi-Schleuser die Wegbeschreibungen verteilten.

Anschließend traf ich mich mit einem Kamera-Team von Spiegel-TV, das von außen drehen wollte. Die Kollegen überprüften meine Technik und entdeckten eine defekte Lötstelle. Sie reparierten das Gerät gegen 21 Uhr in einer französischen Kneipe. Im Schein einer Taschenlampe verkabelten sie mich auf dem Parkplatz. Gegen 22.30 Uhr kam ich endlich beim Konzert an.

Angesichts der technischen Schwierigkeiten und der nervlichen Anspannung lief der Dreh gut. „Noie Werte“ mit Rechtsanwalt Hammer konnte ich aus nächster Nähe filmen, wie sie unter anderem Hitler-Stellvertreter Rudolf Heß musikalisch huldigten und ein Großteil der 800 Besucher die Hand zum Hitler-Gruß gen Bühne reckte. Allerdings war mein Mikrophon zu empfindlich für ein Rock-Konzert, bei dem die Hosen vor den Boxen flatterten, wenn die E-Gitarren Druck machten. Und was noch ärgerlicher war: Als „Race War“ tatsächlich als Überraschungsband auftrat, versagte das Aufnahmegerät wegen eines Festplattenfehlers.

Hätte es ein Video gegeben, wie die Band mit vermummtem Schlagzeuger den Terror-Anschlag auf das amerikanische World-Trade-Center bejubelte und ein Bombardement Israels einforderte, dann wären die Mitglieder im Jahr 2006 vor dem Stuttgarter Landgericht möglicher Weise nicht mit Bewährungsstrafen davongekommen. „Race War“ wurde wie „Landser“ als „kriminelle Vereinigung“ verurteilt.

Mein erstes Video-Material hat Spiegel-TV tags darauf ausgestrahlt. Nachdem frühere Berichte über Neonazi-Musiker mit alten Szene-Videos auskommen mussten, hieß es nun: „Gestern Abend im Elsaß...“ Und was folgte, erschütterte die Rechtsrock-Szene mindestens so sehr wie demokratisch gesinnte Fernsehzuschauer – wenn auch aus anderen Gründen. Die konspirativ organisierten Konzerte waren bis dahin ein Ort gewesen, an dem sich die Neonazis vor Beobachtern sicher gefühlt hatten. Nun fürchteten einige sogar um ihren Arbeitsplatz, falls ihr Chef Spiegel-TV gesehen hatte. Drohungen gegen den filmenden „Verräter“ blieben nicht aus. Es hieß unter anderem, das Problem sei wie folgt zu lösen: „Zwei Drittel Heizöl, ein Drittel Benzin.“ Ein anderer schrieb: „Wenn wir den erwischen, stellen wir ihn auf die Bühne – der Rest ergibt sich von selbst.“

Was als einmalige Aktion geplant gewesen war, entwickelte sich für mich fast zu einem zweiten Leben – die verdeckte Video-Recherche in der Neonazi-Szene. Ich habe in dreieinhalb Jahren bei rund 25 konspirativen Konzerten in acht Ländern Europas gedreht. Unzählige offen angekündigte Veranstaltungen mit Nazi-Beteiligung kamen hinzu. Ich konnte nicht mehr abschalten. In jeder freien Minute dachte ich über neue Identitäten und bessere Kamera-Lösungen nach.

Um meine Rolle zu perfektionieren, habe ich fast nur noch Rechtsrock gehört. Auf Konzerten und in Neonazi-Läden kaufte ich mehr als 200 CDs, um die Lieder zu kennen und im Small-Talk über die neusten Scheiben zu bestehen. Teilweise kannte ich mich in Szene-Angelegenheiten besser aus als die Nazi-Skins. Fast jede Nacht war ich im Internet, um meine Pseudonym-Kontakte zu pflegen.
Entgegengekommen ist mir, dass die Mädels in der Szene immer mehr und immer aktiver wurden – auch im Bereich der Konzert-Organisation. Und gerade den engagierten Führungs-Frauen fehlte es an Anerkennung der „Kameraden“. Mädels kommen in deren Weltbild meist nur als Sexobjekte oder Mütter vor. „Führungs-Kameradinnen“ freuten sich folglich, wenn ihnen jemand großen Respekt für ihre Arbeit zollte. Ich machte das, um ihr Vertrauen zu gewinnen. In der Folge sprudelten sie mit Informationen.

Ein Beispiel ist die Gründerin der „Aktiven Frauen-Fraktion“ (AFF), die sich in Foren „Celticfrica“ nannte. Für sie interessierte ich mich, noch bevor es ihre Mädel-Truppe gab. Mir war aufgefallen, dass sie im Internet viel über die Band „Race War“ schreibt. Es stellte sich heraus, dass sie die Lebensgefährtin des Sängers war – eine besonders interessante Informations-Quelle für mich.

Anfangs kannte ich von „Celticfrica“ nur den Foren-Namen – am Schluss ihren Lebenslauf samt ihrer privaten Probleme. Ihre AFF etablierte sich als eine der aktivsten Frauen-Organisationen in Deutschland. Und „Report München“ hatte Interesse an der Story. Es galt, das Unmögliche zu versuchen: Die AFF-Führerin sollte für ein Interview gewonnen werden. Auf eine schriftliche Anfrage hin, bat „Celticfrica“ mich (unter meinem Pseudonym) um Rat. Und ich habe ihr natürlich empfohlen, das Interview zu geben, und ihre Bedenken zerstreut. „Celti“ sagte danach zu und brachte sogar ihre Stellvertreterin mit. Was sie vor der Kamera sagte, war teilweise entlarvend. Auf die Frage nach ihren politischen Aktivitäten erklärte sie beispielsweise: „Wir arbeiten da mehr im Untergrund...“

Rund 30 Fernseh-Beiträge im In- und Ausland haben Video-Material von mir enthalten. Die Neonazis bemühten sich immer mehr, das Filmen zu verhindern. Ohne „Kameraden“ um mich herum drohte ich aufzufallen, weil Skinheads normalerweise Hunderte von Kilometern weit zu Konzerten fahren und die Autos daher voll besetzt werden. Das hieß, ich musste entweder Kollegen mitnehmen, was Honorar-Ausgaben nach sich zog – oder ich musste mit „echten Nazis“ anreisen, was logistische Probleme bei der technischen Vorbereitung mit sich brachte. Ich habe beides praktiziert. Das erforderte häufige Pseudonym-Wechsel, die mit optischen Veränderungen einhergehen mussten. Ich änderte den Kleidungs-Stil, rasierte mir die Augenbrauen, setzte farbige Kontaktlinsen ein und arbeitete mit Bärten.
Einmal wurde ich indirekt eingeladen – zu einem NPD-Konzert bei Mitterskirchen im Oktober 2005. In einem Internet-Forum hieß es, der Gig sei nicht konspirativ genug angekündigt worden. Wahrscheinlich komme wieder Spiegel-TV. Und tatsächlich: Ich kam bei jenem bayerischen Konzert trotz Eingangs-Kontrolle rein und Spiegel-TV kaufte das Video-Material.

Dieses Konzert zog ein Ermittlungsverfahren nach sich, weil verbotene Lieder gespielt worden waren. Es wurde aber aus unerfindlichen Gründen eingestellt. Das war im hessischen Kirtorf anders. In einem umgebauten Schweinestall hatten Nazis die Sau rausgelassen und unter anderem zum Mord an Juden aufgerufen. Kurz bevor die Recherchen des ARD-Magazins „Kontraste“ abgeschlossen waren, hat die Polizei das Anwesen mit dem „Nazi-Schweine-Stall“ durchsucht. Und als der Beitrag gesendet war, wurden Ermittlungsverfahren gegen den Hof-Eigentümer, den örtlichen Kameradschaftsführer, den Veranstalter und die Mitglieder der Band „Garde 18“ eröffnet. Alle Beteiligten sind zu Geldstrafen und teilweise zu Bewährungsstrafen verurteilt worden.

Die Leibesvisitationen vor den Konzerten wurden gründlicher, Handys wurden verboten. Im Elsass versuchten Neonazis, eine Falle für Filmer zu stellen: Sie unterbrachen ein Konzert, um das Publikum ein zweites Mal zu durchsuchen – ohne Erfolg. Teilweise arbeitete der „nazionale“ Sicherheitsdienst sogar mit Metall-Detektoren.

Das erhöhte die Anforderungen an die Technik. Ich kaufte immer wieder neues Gerät – das Beste beziehungsweise Kleinste, was international auf dem Markt war. Außerdem habe ich mir Ablenkungsmanöver einfallen lassen. So fand es mancher (wohl unter dem Mädel-Mangel der Szene leidende) Security-Skin superwitzig, wenn er mir ein Päckchen Kondome aus der Tasche zog, so dass der Rest der Kontrolle im Gelächter unterging...

Bei einem Schweizer Open-Air-Konzert im September 2006 bekamen die Neonazis unerwartete Unterstützung von der Polizei. Die Beamten richteten am Zugang eine Kontroll-Station ein. Ich drehte um, als ich sah, wie ein Polizist sogar die Bonbon-Tüte eines Skinheads öffnete, während ihn das Messer am Gürtel überhaupt nicht zu interessieren schien. Ich hegte den Verdacht, dass auch die Staatsmacht einen Kamera-Einsatz verhindern wollte. Im Herbst 2005 hatte Video-Material von mir die Polizei in die Schlagzeilen gebracht. Sie hatte ein Neonazi-Konzert nicht unterbunden, obwohl es zu Straftaten gekommen war – das SF-Magazin „Rundschau“ berichtete zwei Mal darüber und Zeitungen zogen nach. Der Verfolgungsdruck für die Neonazis wurde anschließend größer. Die Schweiz hat ihren Ruf als Konzert-Paradies eingebüßt.

Ähnliches gilt für Österreich: Dort habe ich am 9. Dezember 2006 gefilmt, wie sich Polizei-Beamte augenscheinlich mit Neonazis amüsierten, ehe sie sich per Handschlag verabschiedeten. Es folgte ein Konzert mit Publikums-Gesängen wie dem folgenden: „In Majdanek, in Majdanek, da machen wir aus Juden Speck. [...] In Auschwitz weiß ein jedes Kind, dass Juden nur zum Heizen sind.“ Ein Bericht des ORF-Magazins „Thema“ sorgte für Empörung. Ein Polizei-Vertreter hatte vor der Kamera erklärt, dass Beamte das Konzert überwacht hätten und keine verbotenen Lieder gespielt worden seien. Ein Polizei-Skandal konnte abgewendet werden, indem das Augenmerk auf die deutschen Gäste des Neonazi-Konzerts gelenkt wurde.

In der Tat handelte es sich um eine bayerische Veranstaltung, die kurzfristig über die Grenze verlegt worden war. Die politische Fragestellung beschränkte sich in der Folge auf den künftigen Umgang mit deutschen Neonazis in Oberösterreich. Auf Landes-Ebene wurde eine Sicherheitskonferenz mit dem Österreicher Bundes-Innenminister und bayerischen Polizei-Vertretern einberufen.
Obwohl deutsche Neonazis – Organisatoren, Bands und Besucher – im Nachbarland eine Sicherheitskonferenz des Parlaments ausgelöst hatten, waren deutsche Medien an meinem Film-Material beziehungsweise an einer Text-Berichterstattung nicht interessiert. Angebote an Fernseh-Magazine und Nachrichten-Redaktionen blieben genauso erfolglos wie Offerten an Online- und Print-Medien sowie Presseagenturen.

Nachdem ich bereits in den Vormonaten fast nichts verkauft hatte, während die Kosten anwuchsen, begann ich allmählich, über ein Ende meiner Recherchen nachzudenken. Viele Fernseh-Redaktionen waren an Berichten, die Neonazi-Strukturen offengelegt hätten, kaum interessiert. Was buchstäblich rockte, waren spektakuläre Einzelfälle mit Gesetzes-Verstößen – aber nur, wenn sie noch spektakulärer waren, als alles bisher gesendete. Dass sich diese Spirale kaum mehr weiterdrehen konnte, war mir nach meinem vorletzten Dreh bewusst: Ich hatte bei einem ungarischen Neonazi-Konzert zwei bayerische NPD-Landesvorstandsmitglieder gefilmt, wie sie die Hand zum Hitlergruß hoben. Wie sollte das zu toppen sein?

Kurz vor dem Sendetermin für das Ungarn-Material verkabelte ich mich noch ein letztes Mal: Die Reise ging zu einem SS-Memorial des internationalen Neonazi-Netzwerks „Blood & Honour“ nach Belgien. In der folgenden Woche berichteten das NDR-Medienmagazin „Zapp“ und das ARD-Politmagazin „Panorama“ über meine Recherchen in der internationalen Neonazi-Szene. Dadurch wurde den Rechtsrockern erst bewusst, dass es EIN Journalist war, der über all die Jahre gefilmt hatte. In Foren-Diskussionen des Internets waren zuvor unter anderem Geheimdienst-Leute verdächtigt worden. Ein letztes Mal wurden Drohungen gegen mich niedergeschrieben. Anders als in den Jahren zuvor bereiteten sie mir aber keine Albträume. Seit dem Entschluss, aufzuhören, jagen mich im Schlaf keine Skinheads mehr.

Die Ergebnisse des Recherche-Projekts will ich in einem Buch und einem Dokumentarfilm zusammenfassen – wobei ich noch einen Verlag beziehungsweise einen Sendeplatz finden muss. Das Film-Konzept stieß bis vor kurzem genauso auf mediales Desinteresse wie viele meiner Themenvorschläge in den vergangenen Jahren. Das ist der Grund, weshalb sich meine Recherchen nie wirtschaftlich betreiben konnte und sie deshalb aufgeben musste. Dass ich kürzlich den „Leuchtturm“ des „Netzwerks Recherche“ bekommen habe, ist skurriler Weise ein positives Ergebnis der Misere. Wäre ich wirtschaftlich erfolgreich gewesen, hätte ich meine Arbeitsweise weiterhin geheimgehalten: Ein Pseudonym Thomas Kuban hätte es in dieser Form nie gegeben.