Bericht aus der Giftmülldetektei

Recherchen und Dossiers, Medien und Aktionen. Strategien des Andreas BERNSTORFF

1992 und 1994 hatte Greenpeace aufgedeckt und öffentlich gemacht, dass je 350 Tonnen Altpestizide (je ein voller Güterzug) deutscher Herkunft in einfachen ungesicherten Hallen oder Scheunen in Rumänien und Albanien gelagert wurden. Einige Fässer waren völlig verrostet und leckten. Der Giftmüll war dorthin exportiert worden, um die teure Entsorgung in Deutschland zu sparen. Auf Druck von Greenpeace sah sich die Bundesregierung gezwungen, die gefährliche Fracht unter großer Medienaufmerksamkeit zu sichern, nach Deutschland zurückzuholen und hier fachgerecht zu entsorgen. 

Diese "return to sender"-Aktionen markieren den öffentlichen Höhepunkt der "Kampagne gegen Giftmüllexporte". Man kann die Kampagne erst jetzt in allen ihren Facetten offen darstellen. Erst jetzt - im Abstand von zehn Jahren - darf genauer geschildert werden, wie ein wichtiger umweltpolitischer Erfolg mit Hilfe investigativer Methoden bis hin zur verdeckten Ermittlung erzielt werden konnte:

  • das auf Rache sinnende Personal hat sich verlaufen
  • unsere Aktivisten von damals sind außer Gefahr.

Der Erfolg war damals anders nicht zu haben. Die Übung ist so nicht wiederholbar. Wir verraten nichts, was uns schwächen könnte. Aber wir geben gerne unsere Erfahrungen weiter, um nachfolgende Rechercheure zu inspirieren.

Das Problem

Worum ging es also damals, 1992: Giftmüllexporte aus reichen Industriestaaten gingen in alle Ecken der Welt. Exportweltmeister war Deutschland. In Mittel-Osteuropa waren nach der Öffnung der Grenzen Polens im Jahr 1988 und dann seiner Nachbarländer - deutsche Giftexporteure die ersten "Investoren". Das war zwar im Prinzip bekannt, dennoch musste im Einzelfall immer wieder bewiesen werden, dass massive Giftmüllexporte nach Mittel-Osteuropa aus Deutschland liefen. Als gesetzlich nicht geregelte Exporte war das zwar legal, aber im moralischen Sinne als "kriminell" einzustufen. Greenpeace wollte das eindeutige Verbot dieser Praktiken.

Vorlauf

  1. Ein Ostberliner Rucksacktourist kommt aus Hermannstadt/Sibiu in Siebenbürgen/Transsilvanien zurück und liefert bei Greenpeace in Ost-Berlin einen Leserbrief besorgter Wissenschaftler (Chemiker und Mediziner) aus der lokalen Zeitung ab. Die Schreiber äußern die Sorge, geplante Müllentsorgungsprojekte aus EU-Ländern in Siebenbürgen könnten sich nachteilig in der Region auswirken. Firmennamen werden nicht genannt. Der Zettel landet in einer Akte "Giftmüllexporte".

  2. Ein Anrufer, der sich per Autotelefon meldet, behauptet von einem Plan zu wissen, wonach 2.000 Tonnen Altpestizide aus Sachsen nach Rumänien geliefert würden. Das Projekt sei schon aktiv. Das Motiv des Anrufers erweist sich schnell als Rachebedürfnis: Er war ursprünglich beteiligt, wurde aber übervorteilt und ausgebootet. Vorsicht, keine gute Quelle. Aber die Telefonnummer ist registriert.

  3. Greenpeace entdeckt in einem Bahnhofsschuppen in Hessen Altpestizide, Lacke und Farben aus DDR - Produktion, die offenbar für einen Export vorbereitet werden. Die Kripo wird informiert, das "ZDF-heute journal" zeigt unsere Bilder. Die Sache wird gestoppt.

  4. Greenpeace entdeckt in einem Kartoffellager in Dähre (Sachsen-Anhalt) Altpestizide, die offenbar durch eine westdeutsche Firma exportiert werden sollen. Die Aktionsabteilung von Greenpeace fährt mit einem Lastwagen mit der Aufschrift "Umweltschutz direkt" vor, sichert den Ort und lädt die Medien zur "Besichtigung" ein. Ergebnis in der Presse: "Jetzt vergiften die Wessis den Osten!" so zum Beispiel die "Bild am Sonntag".

Die Botschaft kommt nicht an - wir brauchen neue Ansätze

Wir haben eine sehr gute Medienresonanz, aber alles läuft verkehrt: Wir wollen beweisen, dass Giftmüllexporte nach Osteuropa laufen und verboten werden müssen. Die Journalisten beschäftigen sich aber nicht mit dem grundsätzlichen Problem, sondern beschränken sich auf den aktuellen Skandal. Sie schildern, was sie an den Lagerorten in Deutschland sehen und riechen können, fragen nach der Grundwassergefährdung und dem Gesundheitsrisiko an diesen Zwischenlagern. Mit unserem eigentlichen Thema, dem systematischen Giftexport von reichen in arme Länder, dringen wir nicht durch. Wir brauchen offenbar neue Bilder. Ich hatte in einem früheren Konflikt um Giftmüllexporte aus Baden-Württemberg in die Türkei gelernt, eine solche Auseinandersetzung bilateral zu "eskalieren". Wenn die Journalisten in Deutschland das Thema lokal halten, versuche ich das Thema im Ausland zu verbreiten: Die türkische Tageszeitung Hürryiet bekommt die Geschichte von uns, und das Thema landet in ihrer deutschen Ausgabe. Wenn in der Türkei der Prozess ins Stocken kam, legte ich in Deutschland neue Enthüllungen über Müllexporte vor, die in der Türkei wieder Interesse und Unmut weckten. Das ging damals am besten über den WDR, der etliche Mitarbeiter türkischer Herkunft beschäftigte. Wir brauchten also Bündnispartner auf der anderen Seite.

Die erste Informationsbeschaffung

Ich rufe die Telefonauskunft an und frage nach dem Stichwort "Zeitung" in Hermannstadt/Sibiu, denn dort muss es Zeitungen der noch aktiven deutschen Minderheit geben, mit denen ich deutsch reden kann. Meine Greenpeace-Sprache, englisch, wird dort nicht gut verstanden. Telekom verhilft mir bis zum Sportjournalisten der "Hermannstädter Zeitung". Er weiß von nichts, seine Frau aber sei sehr für die Umwelt engagiert und bei der "Karpathen-Rundschau" (5000 Leser) tätig. Diese Frau hat bereits einige Dokumente gesammelt. Vier Wochen später sitzen beide in meinem Heidelberger Büro und wir tauschen alle Informationen aus. Es scheint wirklich massive Giftmüllexporte aus Deutschland nach Rumänien zu geben. Mit Deckung durch Bundes- und Landesbehörden, den Zoll und die Grenzpolizei. Wie weiter? Wir rufen den Unbekannten vom Autotelefon an und fragen, von welchen Orten aus Exporte liefen. Er ist mittlerweile aus dem Geschäft, beschreibt aber eine Region in Sachsen, wo in bestimmten Lagerhallen Exporte vorbereitet werden könnten. 

Um zu beweisen, dass Exporte geplant sind und stattfinden, können wir nach unserer Vorerfahrung nicht einfach Lagerstätten identifizieren, anzeigen und sichern, sondern müssen regelrechte Bewegungen in Richtung Ausland dokumentieren. Aber Partner im Ausland, die richtig reagieren werden, haben wir jetzt.

Der Plan

Also entsteht folgender Plan: Wir finden und beobachten einen Lagerort, verfolgen den Abtransport, stoppen ihn an einer Grenze, und dann haben wir den Beweis. Das ist riskant:

  • Wenn wir ihn an der Grenze nicht stoppen können, haben wir einen Export dokumentiert, aber nicht verhindert, sondern sogar toleriert. Also dürfen wir an der Grenze nicht 
    aufgeben.
  • Wenn wir ihn dort aber nicht stoppen können, verfolgen wir ihn bis an sein Ziel und beginnen von dort aus die öffentliche Enthüllung. Das kann misslingen.
  • So haben wir z.B. nicht für alle Beteiligten Visa für alle in Frage kommenden Transit- oder Empfängerländer.
  • Es muss auch nicht gelingen, die Visa an der Grenze zu kaufen.
  • Wir können eine Panne oder einen Unfall haben, ein Bach ist für uns zu tief, durch den die LKWs aber fahren können. Oder wir werden gestoppt von Verbündeten des Gegners, 
    echten oder unechten Polizisten.
  • Die LKWs können in ein bewachtes Firmengelände fahren und wir stehen draußen.
  • Wir könnten am Lieferort ohne Fax- und Telefonverbindung da stehen.

Wie können wir das vertreten? Da es ohnehin dauernd geschieht, nehmen wir das Risiko der minimalen Mitverantwortung durch Zeugenschaft in Kauf. Auch die anderen potenziellen Probleme.

Agent 1

Um den Ort zu finden, müssen wir so auftreten wie der Müllschieber jener Jahre: Ein 30-jähriger Greenpeace-Rechercheur, getarnt als "Jungunternehmer", wird mit einem schicken BMW ausgerüstet, der über zwei Antennen verfügt: eine vom Radio, eine fürs Telefon. Autotelefone waren damals seltene und teure Geräte. Der "Unternehmer" sucht Hallen, die er für die Zwischenlagerung von "Pflanzenschutzmitteln" mieten kann. Nach drei Tagen meldet er: Ich habe drei Lagerhallen gefunden, die ich mieten könnte, alle leer und uninteressant, aber jetzt sagt mir einer: "Ich hab was, das können Sie noch nicht besichtigen, da ist noch Zeug drin. Das soll Montag nach Rumänien. Kommen Sie danach." Unser Mann erwidert, er wolle nur die Räumlichkeiten prüfen und besser gleich kommen. Der Trick klappt. Unser "Unternehmer" kommt in die Halle in Sachsen und fällt fast um in dem Giftgestank aus maroden Fässern mit Altpestiziden. Sogar eine Lieferadresse in Rumänien hat er ermittelt: Alexandru Dan in Sibiu/Hermannstadt. Die Adresse erweist sich als ein Einfamilienhaus, nichtssagend. 

Der Rechercheur hat Blut geleckt und glaubt, er könnte noch viel mehr solcher Hallen finden. Er kann aber auch nicht ausschließen, dass er enttarnt werden könnte. Also muss er zurück in den Westen, eine Halle muss uns reichen. 

Übrigens ist unser "Unternehmer" gleichzeitig in ständigem Kontakt mit dem Landeskriminalamt Sachsen. Erstens zwecks Informationsbeschaffung, zweitens zu seinem Schutz. Warum das nützlich war und auch dringend angeraten schien, hat er selbst an anderer Stelle beschrieben.

Szenenwechsel: Agent 2

Jetzt sind andere dran: Greenpeace in Berlin, also unsere ostdeutschen Kollegen, werden mit einem Wartburg-Kombi, Schlafsäcken, Kameras und unsichtbarem Mobiltelefon ausgerüstet und postieren sich vor der Halle. Im Gepäck ein Transparent "Kein Giftmüllexport! Greenpeace". In dem Augenblick, in dem die LKWs Richtung Rumänien fahren, sollen sie sich melden und die Verfolgung aufnehmen. 

Montags um 11 Uhr verlassen zwei mit Giftfässern vollgepackte LKW-Gespanne das Gelände und fahren Richtung Süden, CSSR. Ich als Koordinator liege mit Hexenschuss unter meinem Schreibtisch in Heidelberg und werde verrückt, weil die Kollegen wieder mal in ein Funkloch gefahren sind, was sie nicht wissen können.

Erster Eingriff: Szenario in Deutschland

Der Wartburg folgt den LKWs, und das Manöver gelingt: Am Grenzübergang Schönberg setzt sich der Wartburg vor den ersten Müllfrachter, stoppt ihn, unsere Leute rufen die Grenzpolizei und entfalten vor vorsorglich informierten Journalisten und Kameras das Plakat. Die Grenzpolizei bestätigt: Das riecht nicht gut, die Pestizidfässer sind undicht, und so ein Transport darf nicht sein. Die TV-Abendnachrichten berichten ausführlich: "Greenpeace deckt auf: Deutscher Giftmüll sollte nach Rumänien." Endlich. 

Jetzt aber beginnt die eigentliche Arbeit. Anweisung an die Wartburg-Besatzung: Lasst die LKW-Fahrer nicht aus den Augen. 

Die sind schockiert, fürchten um ihren Job, sie haben Hunger und Durst. Also: zum Essen einladen, viel Bier trinken und herausfinden, wo genau sie ihre Ladung abliefern sollten. Um 23 Uhr erreicht mich ein Anruf. Der LKW-Fahrer erklärt mit lallender Stimme, die Ladung sei an einen Herrn Alexandru Dan in Sibiu / Hermannstadt adressiert. Das wussten wir schon, aber nun folgt eine genaue Wegbeschreibung zur Lagerstätte in Miercurea Sibiului / Reußmarkt. Anhand der Beschreibung kann ich den Lieferweg mit dem Finger auf der Landkarte gut mitverfolgen.

Szenario in Rumänien

Anruf in Siebenbürgen: Die Adresse, ein Einfamilienhaus, hatte sich ja schon als völlig unverdächtig erwiesen. Jetzt frage ich: Welchen Beruf hat Alexandru Dan? Er hat Lagerhallen von Agrarkollektiven verwaltet, die jetzt aufgelöst sind. Aha, Lagerhallen. 

Erster Flug nach Sibiu / Hermannstadt. Eine kleine Rundreise erweist: An mindestens acht Plätzen im Landkreis lagern Giftmüllexporte aus Deutschland - auf dem freien Feld, in Hallen, in Kellern. Ein erstes Amateurfoto, das rostige, leckende Giftfässer in einem blühenden Apfelgarten zeigt, geht bald darauf durch die Weltmedien. Drei Tage später haben wir ein eigenes Videoteam dabei. Wir wiederholen die Rundreise und inszenieren sie in rumänischen Polizeifahrzeugen mit echten Polizisten. Ich sitze hinten und dirigiere den Fahrer: "Greenpeace weist den Weg". Die Bilder werden über die BBC worldwide vertrieben. Kollegen aus Neuseeland und Kanada senden per e-mail Glückwünsche.

Zweiter Eingriff

Wir fordern den Rücktransport und die fachgerechte Entsorgung in Deutschland, wir fordern das Exportverbot auf Landes-, Bundes-, EU-Ebene, international: Keine Giftmüllexporte aus Industriestaaten in die Dritte Welt und in die Transformationsgesellschaften in Mittel-Osteuropa und Zentralasien. Wir fordern das seit 1989 und keiner hörte zu. Aber jetzt schon haben wir die Geschichte rund. Dennoch: Die Bonner Regierung eiert, lenkt ab und bleibt untätig. Die rumänische Regierung reagiert zunächst unflätig: Greenpeace als Revisionistenagent wolle dem Ruf des Landes schaden und den beginnenden Tourismus zerstören. Später hüllt sie sich in Schweigen. 

Ein zweiter Eingriff ist notwendig und bietet sich an: Im Januar 1993 platzen etliche Giftfässer durch Frost und drohen bei Tauwetter die Umgebung zu verseuchen. Greenpeace fährt mit Sattelschlepper und Bergungsgerät nach Hermannstadt und "räumt auf". Am Ende dankt die Bukarester Regierung der "Firma Greenpeace" für die Sicherung von Giftfässern.

Die Medien

Erstmals können wir durch diese Aktivitäten eine breite Öffentlichkeit für unser Anliegen erreichen. Wir treten aus dem Milieu der Kirchen- und Dritte-Welt-Gruppen, Grünen, Jusos, "taz", gelegentlich "Frankfurter Rundschau" heraus und erhalten Einladungen von Polizeihochschulen, Landesumweltministerien, dem Bundesaußenministerium sowie Entsorgerverbänden. Außerdem hält unser Thema Einzug in "DIE ZEIT", "Wirtschaftswoche", "Die Welt" und die "FAZ". Dass im Wirtschaftsteil der FAZ eine Greenpeace-Statistik mit Grafik über Müllexporte gedruckt wird, stärkt uns sehr. Ich glaube, dass dieses Presseecho bei den Entscheidungsträgern im Deutschen Bundestag und bei der Bundesregierung letztlich zum Umdenken beigetragen hat. 

Ich erlange den Titel eines "Giftmülldetektivs". Das schmeichelt mir einerseits und ärgert mich andererseits. Meine Aufgabe ist nicht die einer Ersatzpolizei. Unser Ziel ist das kontrollierte Verbot. Und damit wäre ich in dieser Funktion überflüssig. Dies wurde möglich nicht allein durch ein Husarenstückchen. Dazu gehörte mehr.

Kompetenznachweis

Wir haben vom ersten Tag der Recherche an (Dezember 1987) alle Informationen gesammelt und alle Müllexportprojekte nach dem selben Schema aufgeschrieben. Schließlich hatten wir zum Beispiel in dem Dossier "Rumänien - Die Giftattacke" auf 61 Seiten zahlreiche Falldarstellungen für Ermittler, Journalisten, Umweltbeamte oder Diplomaten zusammengetragen. Für jeden Fall wurden Abfallart, Menge, Exporteur, Empfänger, zuständige Genehmigungsbehörde für den Export und - soweit bekannt - die zuständige Genehmigungsbehörde für den Import erfasst. Eingeleitet wurde das Dossier durch eine Darstellung der internationalen Rechtslage, der weltweiten Politik zum Thema und dem aktuellen Stand der UN-Verhandlungen zur "Basler Konvention" gegen Exporte von gefährlichen Abfällen. Insgesamt haben wir bis 1994 weltweit an die 600 Fallbeispiele gesammelt und veröffentlicht. 

Ohne diesen Kompetenznachweis wäre es beispielsweise nicht gelungen, Journalisten an etlichen Orten in Deutschland davon zu überzeugen, dass gerade ihre Geschichte vor Ort weiter recherchiert und einem klärenden Ende zugeführt werden sollte. Dies ist vielfach geschehen. Wir hatten in jener Zeit 1.500 Zeitungsartikel zum Thema "Giftmüllexporte / Greenpeace" in nur elf Monaten.

Exkurs 1: Kreation von Quellen / Informantenschutz

Wollten wir während dieser Dokumentationsarbeit eine vertrauliche Information öffentlich nutzen, mussten wir auf "anständige" Weise falsche Fährten legen. Hatten wir beispielsweise Kenntnis von einem Aktenvorgang bei der Polizei oder anderen Landesbehörden (Abfall ist Ländersache), mussten aber unseren Informanten decken, so boten sich folgende Wege:

  • Ein vertrauenswürdiger Journalist wird mit den Informationen versorgt und verfolgt sie mit seinen Methoden auf seinen gewohnten Wegen. Er schreibt einen Artikel, den wir ab jetzt als Quelle benutzen. Dass wir dann unter Umständen mehr wissen und in unserer Dokumentation auch aufschreiben, fällt selten jemand auf. Im übrigen liegt unser Dokument zeitlich nach der Medienquelle, es sind also möglicherweise neue Informationen hinzu gekommen.
  • Oder man kreiert zunächst amtliche Aussagen und Dokumente. Der einfachste Weg ist dabei: Ich rufe den Chef der entsprechenden Behörde an. Von Nachbarn der Firma x hätte ich einen Anruf, es rieche schlecht aus einer Halle, und LKWs transportierten Fässer ab. Oder: Journalisten hätten mich gefragt, ich wüsste aber nicht richtig Bescheid. Ob man mir helfen könne. Die bevorzugte Strategie ist die des Understatement: Der Andere ist der Wissende, ich bin der ahnungslos Fragende. Bekomme aber irgendeine Antwort.

Will man mehr Aufwand betreiben und wiederum andere einbeziehen, bietet sich der Weg über den "Abgeordnetenbrief" an: Man entwirft einen Brief mit dem Wortlaut "Treffen Informationen zu, denen zu Folge xy passiert ist?" Dieser Brief eines Landtags- oder Bundestagsabgeordneten muss von der Regierung innerhalb zwei Wochen beantwortet werden. Eine Anstandsregel sagt, dass innerhalb von zwei Wochen nach der Antwort die Regierung selbst das Thema nicht öffentlich anspricht: Der Abgeordnete hat also Zeit, sich mit seiner Initiative und dem Ergebnis im Wahlkreis und darüber hinaus zu profilieren, und Greenpeace kann jetzt den Abgeordneten und/oder die Regierung zitieren. Wer jetzt noch nachvollziehen will, wie die Informationswege waren, hat es schwer. 

Mit noch mehr Aufwand kann man eine "Kleine Anfrage" durch eine Gruppe von Abgeordneten möglichst mehrerer, aber wenigstens einer Fraktion starten. Hier gilt erst recht, dass die Regierung nach ihrer Aktenlage wahrheitsgemäß und fristgerecht antworten muss. Bittet sie um Fristverlängerung, dann ist das in der Regel ein gutes und kein schlechtes Zeichen, denn jetzt ist sie entweder in Schwierigkeiten oder bereitet eine besonders gründliche Antwort vor. Oder beides. 

Durch solche Initiativen kann man manchmal Dynamiken lostreten, die viel Arbeit sparen, weil andere sich aus eigenem Interesse engagieren. Diese Art der Arbeit spielt bereits in den Bereich der allgemein politischen Arbeit der Organisation hinein. 

Übrigens bezieht sich das oben über Zeitungsjournalisten Gesagte auf sämtliche Medien, aber nicht in gleicher Weise. Beispielsweise kann man in Radiotexten oft weiter gehen oder schärfer sein als in Printmedien. Denn der Zugang zu einem Mitschnitt oder Skript ist schwieriger. Ist man selbst der Urheber der Meldung, hat man aber natürlich Beides. 

Weiter sind alle oben skizzierten Methoden zwar nicht beliebig, aber in der richtigen Verbindung und Hierarchie kombinierbar. Man wäre zum Beispiel schlecht beraten, wenn man einen Abgeordnetenbrief initiieren und die gleiche Information vor Ablauf der zwei Wochenfrist in der Tagesschau oder im Lokalsender "platzieren" würde. 

Exkurs 2: Wie kommt man an Polizeiinformationen?

Bekanntlich dürfen Beamte keine Dienstgeheimnisse ausplaudern und noch weniger dürfen Ermittlungsbeamte irgendetwas nach außen dringen lassen. Eine Ausnahmesituation ist die Vernehmung. 
Will also ein Beamter etwas von mir wissen "und ich von ihm", so ist die Vernehmung die gebotene Gesprächsform. Wenn der Beamte mich vernimmt, muss er mir den Kontext erklären, damit ich eine mitdenkende und ergiebige Quelle bin. Dies ist die einzig legale und anständige Weise, wie mich ein offizieller Ermittler ein Stück weit ins Vertrauen ziehen kann. Ich muss allerdings bereit sein, das Vernehmungsprotokoll zu unterschreiben. Und da gilt es vorher zu entscheiden, ob und wie man sich im internen Netz der Polizeiinformationen verewigen will. Die neu hinzugewonnenen Informationen kann ich dann über die oben beschriebenen Wege lancieren, wenn es die Ermittlungen nicht behindert, sondern sie fördert. Das ist Verabredungssache. 

Vor dem vorschnellen Ausplaudern von so gewonnenen Informationen kann ich nur warnen. Und überhaupt sind Polizeikontakte ganz besonders pfleglich zu behandeln. 
Interessant sind sie deswegen für beide Seiten, weil oftmals Ermittler frustriert sind, dass ihre Arbeit nicht zur Klageerhebung durch die Staatsanwaltschaft führt. 
Staatsanwaltschaften sind naturgemäß vorsichtig, solange die Rechtslage einen Erfolg der Klage bei Gericht zweifelhaft erscheinen lässt. 

"Kriminelle" Machenschaften wie Giftmüllexporte, die damals legal waren, legten aber Kooperationen nahe zwischen Ermittlern, die schweigen müssen, und Umweltgruppen, die protestieren und öffentlich anklagen. Schließlich wollten beide Seiten die Rechtslage ändern - und dies ist dann auch gelungen.

Politische Arbeit

Ohne den oben beschriebenen Kompetenznachweis und die breite Medienunterstützung wäre es uns beispielsweise nicht gelungen, vor dem Umweltausschuss des Deutschen Bundestages zum Thema Abfallexporte als einziger Experte gehört zu werden, eingeladen durch alle Fraktionen von den Grünen bis zur CSU. Üblicherweise laden zu solchen Anhörungen die Fraktionen immer ihre eigenen Experten ein, die dann meist gegeneinander auftreten. Mit der hier beschriebenen Geschichte war in Deutschland - sozusagen offiziell - die Kompetenz zum Thema Giftmüllexporte Greenpeace zugeschrieben. 

Von diesem Niveau aus konnten wir gerade von Deutschland aus auch die politische Arbeit von Greenpeace International bei den Vereinten Nationen in den Gremien der Basler Konvention gegen Giftmüllexporte nachdrücklich unterstützen. 

Die politische Arbeit von Greenpeace auf Länder- und Bundesebene, bei der Europäischen Union, in etwa 40 Umweltabkommen der Vereinten Nationen weltweit kann hier nicht dargestellt werden. Die Erwähnung dieses in der Regel nicht öffentlich sichtbaren "Lobbying" ist aber notwendig. Denn all die kleinen Recherchen, Enthüllungen und Aktionen müssen politisch auf allen Ebenen so übersetzt werden, dass sie eines Tages unnötig werden. Wir müssen unsere Ziele völkerrechtlich formulieren und im Regime der UN-Umweltkonventionen so befestigen, dass nicht mehr wir es sind, die den Finger in die Wunde legen, sondern dass sich die Staatengemeinschaft selbst verpflichtet, anstehende Probleme zu lösen. Zur Erreichung dieses Ziels war die Episode einer verdeckten Ermittlung nützlich, um die Botschaft von Greenpeace deutlich zu machen und zu befeuern.

Der Erfolg

Nach sieben Jahren weltweiter Kampagnenarbeit gegen Giftmüllexporte aus den reichen OECD-Staaten in den Rest der Welt, vor allem in die Dritte Welt und nach Mittel- und Osteuropa, beschloss die Vertragsstaatenkonferenz der Basler Konvention 1995 ein strafbewehrtes Verbot aller Exporte gefährlicher Abfälle aus OECD-Staaten. Das Verbot trat für die Europäische Union, Hauptquelle solcher Exporte, zum 1. Januar 1998 in Kraft und wurde bereits vorher, seit 1994, weitgehend eingehalten. Die USA, Kanada, Australien und Neuseeland sind noch nicht an das Verbot gebunden, vermeiden aber tunlichst Müllexportskandale. Sieben Jahre scheinen lang, wenn man sie persönlich vor sich hat, sind aber für die vergleichende Völkerrechtsforschung eine sehr kurze Periode. 

Es ist der Charme des "weichen" Umweltvölkerrechts, dass es bereits wirkt, bevor es verbindlich ist. Selbst ohne Rechtsverbindlichkeit und Sanktionsinstanzen haben sich Staaten, deren Behörden, Unternehmen und Einzelakteure mit der Unabwendbarkeit zukünftigen globalen Rechts abgefunden und ihr Verhalten geändert. Giftmüllexporte finden zwar vereinzelt noch statt, wenn skrupellose Geschäftemacher zu Werke gehen. Doch die systematischen Schiebereien, die bis Mitte der neunziger Jahre in einer rechtlichen Grauzone abgewickelt wurden, gehören seit den Verbotsbeschlüssen der Basler Konvention zum Glück der Vergangenheit an. 

Anmerkung: Die jüngste und umfassendste Darstellung des Problems, der Kampagne und ihrer Ergebnisse mit Datenmaterial, Tabellen und Falldarstellungen findet sich in der Loseblattsammlung "Müll-Handbuch" im Erich Schmidt Verlag, Lieferung 5/02, Mai 2002: "Export von Sonderabfällen" Entstehung und Folgen des Basler Übereinkommens aus der Sicht von Greenpeace Bearbeiter: Andreas BERNSTORFF und Judit KANTHAK (25 Seiten).