Andere zivilgesellschaftliche Aktivitäten

Zwei aktuellere Beispiele aus Russland

In der Moskau vorgelagerten Stadt Chimki tobt derzeit ein Kampf zwischen der "Macht" und großen Teilen der Zivilgesellschaft, die bereits die EU erreicht hat. Eine geplante Autobahn zwischen Moskau und St. Petersburg, deren Sinn niemand bestreitet, soll ausgerechnet durch den Chimki-Wald gebaut werden, einer der wichtigen Waldgebiete in der von ökologischen Problemen geprägten Ballunsmetropole. Einer, der darauf schon früh aufmerksam gemacht hat, aber auch die Stadtverwaltung hinsichtlich anderer merkwürdiger Vorkommnisse kritisiert hat, der Chefredakteur einer kleinen Zeitung, wurde im November 2008 derart zusammengeschlagen, dass er heute als Krüppel lebt und nicht mehr sprechen und schreiben kann - seine linke Gehirnhälfte wurde zertrümmert.
Bis heute sind die Täter nicht gefunden, andere Journalisten ebenfalls zusammengeschlagen, die Autobahn nach wie vor in der Planung. Allerdings ist die Europäische Kommission aus der zugesagten Finanzierung ausgestiegen. Wer von den beiden russischen Führern sich bei diesem Projekt durchsetzen wird, ist völlig offen: MEDVEDEV oder PUTIN. Zugleich bildet die Geschichte den immerwährenden Konfikt ab, nicht nur in Russland: Zivilgesellschaft versus "Macht"

Hochmut kommt vor den Fall - so heißt es, stimmt aber nicht immer.
Ob diese Erfahrungsregel so funktioniert, hängt davon ab, wie wachsam und engagiert die Menschen und die Medien sind.
In der sibirischen Altai-Region Russlands war das so. Dort hat die Überheblichkeit von hohen Staatsbeamten immerhin 7 "VIP's" das Leben gekostet, darunter den Vertreter des russischen Präsidenten im Parlament, Alexander KOSOPKIN. Eine weitverbreitete VIP-Wilderei - abseits aller Gesetze und Regeln - endete in einem Hubschrauberabsturz.
Aus dem zunächst als "Unfall" gemeldeten Vorgang wurde indes schnell ein Skandal: "Altaigate" - in Anlehnung an den bekannten "Watergate"-Skandal.
Verwischte Spuren und zunächst lustlose Ermittlungen auf der einen Seite - Ärger, Wut und vor allem sichtbare Proteste über die Überheblichkeit der "Macht" auf der anderen Seite. Proteste, die über russlandweite Blogs und kleinere Demonstrationen in Moskau und in Südsibirien dem vermutlich alltäglichen Vorgang illegaler Wilderei zu einer größeren Wahrnehmung verholfen haben - als ein Zeichen der Gegenwehr: die Zivilgesellschaft gegen die "Macht". Und jetzt muss ein ehemaliger Vizepremierminister, eingesetzt von PUTIN, vor Gericht ...
Diese Geschichte ist die erste, die das DokZentrum ansTageslicht.de im Sommer 2010 zusammen mit Studierenden des Freien Russisch-Deutschen Instituts für Publizistik (FRDIP) an der Lomonosov-Universität in Moskau rekonstruiert hat.

Zwei Beispiele aus Deutschland

Absolute politische Mehrheiten führen schnell zu Übermut und Hybris. So geschehen bei den Landtagswahlen im Bundesland Rheinland-Pfalz 2006. Der neue Justizminister, der bis dahin als "liberaler" und besonnener Richter und Präsident des OLG Koblenz galt, entwickelte sich zum Machtpolitiker. Er wollte alle neuen Stellen im Justizapparat mit SPD-Gefolgsleuten, zumindest SPD-nahen Menschen besetzen. Auch seine eigene Nachfolge im OLG. Der qualifizierteste Bewerber indes galt ihm als CDU-nah.
Also entschied man sich für den Zweitbesten. Weil der qalifiziertere Bewerber dagegen klagte und ersteinmal verlor, und weil es in Deutschlands Behörden das Prinzip der "Ämterstabilität" gibt, das besagt, dass immer derjenige im Amt bleibt, der bereits ernannt ist - egal ob rechtmäßig oder nicht - geschah genau dies: Die Ernennung des SPD-nahen Nachfolgers erfolgte in einer Art Blitzernennung, nachdem das Gericht ein entsprechendes Urteil in das Ministerium gefaxt hatte. Alles ging innerhalb weniger Minuten über die Bühne.
Doch die Karlsruher Verfassungsrichter sahen das als verfassungswidrig an und so konnte der unterlegene qualifiziertere Bewerber erneut vor den Verwaltungsgerichten klagen. Und bekam in letzter Instanz recht: Der Justizminister musste nicht nur 'seinen' Lieblingsnachfolger wieder entlassen, sondern die Stelle neu ausschreiben, worauf sich der Unterlegene nun erneut bewarb und als Bester ausgewählt wurde.
Eigentlich wäre diese Geschichte hier zu Ende. Doch die SPD hatte einen anderen Plan. Statt den besseren Kandidaten zu akzeptieren, wollte sie das fragliche OLG auflösen. Konkret mit einem anderen fusionieren. Dort gab es bereits einen Präsidenten.
Doch die Zivilgesellschaft akzeptierte dies nicht. Richter, Staatsanwälte, Rechtsanwälte, Justizbedienstete und vor allem die normalen Menschen begannen Unterschriften zu sammeln. Ziel: ein Volksbegehren. Erst jetzt lenkt die SPD ein - das OLG Koblenz ist gerettet.
Ursula SAMARY, Chefreporterin der Rhein-Zeitung hat die Vorgänge seit 2006 dokumentiert, kritisch begleitet und allen ein Forum der Kommunikation geboten. Sie erhielt dafür 2012 den (zweiten) "Wächterpreis der Tagespresse"

Stuttgart 21 steht inzwischen für mehr als nur einen unterirdischen Bahnhof, der nach dem Willen einer abgewählten Landesregierung und der Deutschen Bahn AG gebaut werden soll. Stuttgart 21 steht inzwischen für eine Bewegung, die weltweit um sich greift: Bürger der so genannten Zivilgesellschaft akzeptieren immer weniger "Basta"-Entscheidungen von oben herab, die ihr Leben tangieren.
Wir haben das Projekt "Stuttgart21" von Anfang an rekonstruiert: seit Mitte der 80er Jahre, als alles mit Überlegungen begann, den Verkehr effizienter, aber auch umweltgerechter zu organisieren