Strategiewechsel: Die Zivilgesellschaft in Russland seit Mitte 2012 - Teil 2 der Chronik

Das Jahr 2012 steht für 2 unterschiedliche Entwicklungen:

  • Zum einen für die bisher noch nie da gewesene Welle des Protestes und der Demonstrationen. Diese weithin sichtbaren Protestaktivitäten ebben bis zum Ende des Jahres 2012 nach und nach ab. Einer der Gründe: das harte Vorgehen des Sicherheitsapparates gegen viele der Demonstranten vom 6. Mai - lange Untersuchungshaft, lange Wartezeiten bis zum Prozess, knallharte Urteile: für das Kundtun der eigenen Meinung in der Öffentlichkeit.
  • Auf der anderen Seite entwickeln sich andere Aktivitäten, die nicht so sichtbar sind und die eher auf langfristige Veränderungen setzen: Sie sind für die Medien und die Öffentlichkeit im Ausland nicht so aufregend - auch nichtrussische Medien interessieren sich eher für skandalträchtige Vorgänge als für das langsame und stille, aber stetige Wirken zivilgesellschaftlicher Aktivitäten.


Vor allem um letztere wird es in dieser Chronologie gehen: Teil 2 der ersten Chronik zu dem, was in Russland gerade neu entsteht. 

Was in Russland geschieht, was sich viele Russen wünschen, bringt der ehemalige Finanzminister Alexeij KUDRIN in einem Interview mit dem Nachrichtenmagazin DER SPIEGEL im Januar 2013 auf den Punkt. KUDRIN ist jener Minister, der am längsten den wirtschaftlichen Aufbau vor und nach 2000 (Beginn der PUTIN-Ära) begleitet und vor allem aktiv mitgestaltet hat. Nach elfjähriger Tätigkeit ist er zurückgetreten - weil er im September 2011 gegen die Erhöhung der Militärausgaben war. Kurz darauf, im Dezember 2011 nach der Duma-Wahl, trat er auf der großen Protestdemonstration als Redner auf. Inzwischen ist er einer der einflussreichsten Kritiker von PUTIN. Gleichzeitig aber auch jemand, der mit ihm Kontakt hält. Und ebenfalls gleichzeitig einer, der nicht nur Reden hält, sondern Aktivitäten initiiert. Das Interview in Russisch ist mit der Blog-Site von KUDRIN verlinkt (siehe aktives Bild). In englischer Sprache kann man es unter SPIEGEL ONLINE INTERNATIONAL nachlesen.
Tenor: Reformen, politische und wirtschaftliche, sind dringend notwendig. Insbesondere freie Wahlen. Und die Veränderung einer Gesellschaft lässt sich nicht nur an den Zahlen von Demonstranten ablesen.

Die abnehmende Akzeptanz des öffentlichen Protests steht inzwischen in umgekehrtem Verhältnis zu den neuen zivilgesellschaftlichen Aktivitäten. Sie beginnen um die Jahresmitte 2012. Die wichtigsten Ereignisse zuvor sind unter Zivilgesellschaft: Dezember 2011 bis Herbst 2012 - eine Chronik (Teil 1) dokumentiert. 

Die abnehmende Akzeptanz des öffentlichen Protests steht inzwischen in umgekehrtem Verhältnis zu den neuen zivilgesellschaftlichen Aktivitäten. Sie beginnen um die Jahresmitte 2012. Die wichtigsten Ereignisse zuvor sind unter Zivilgesellschaft: Dezember 2011 bis Herbst 2012 - eine Chronik (Teil 1) dokumentiert. 

Juni 2012

Ex-Finanzminister Alexeij KUDRIN, der keiner Partei angehört, bringt ein erstes Projekt auf den Weg: Das Komitee der zivilen Initiativen (Komitet grazhdanskich iniziatiw) , ein Netzwerk, das nicht nur die unterschiedlichen Aktivitäten miteinander verknüpfen möchte, sondern sich vor allem als "Think Tank" versteht: Menschen unterschiedlicher Profession und Couleur versuchen, eine Art Masterplan für das neue Russland zu entwerfen. Darunter befinden sich auch bekannte Leute aus dem Kulturbereich: der Journalist Wladimir POSNER, der Regisseur Julij GUSSMANN, der Schriftsteller Aleksander ARCHANGELSKIJ.

Zu diesem Vorhaben gehört auch das (Teil)Projekt Zivile gegenseitige Hilfe. Die Schwerpunkte:

  • die Verbesserung der Lebensqualität in der eigenen Umgebung, spruch auf lokaler Ebene
  • Schutz der Bürgerrechte im eigenen Land
  • oder auch Hilfe für Menschen in Not.


Konkret geht es beispielsweise um Trainingskurse oder Hinweise, wo und wie man sich ehrenamtlich einbringen kann (siehe aktives Bild: Darstellung in RU)


Juli 2012

Einen Monat später startet ein weiteres KUDRIN-Projekt: budget4me . Der Name ist Programm: Politisches Desinteresse oder Staatsverdrossemheit hat einen Grund auch darin, dass niemand so genau weiß, wieviel Geld der Staat einnimmt und wie er es verausgabt. Transparenz, die es nicht gibt, kann auch keinerlei Interesse oder Akzeptanz generieren. Und schon garnicht die Vorstellung, dass man beim Ausgeben der Gelder - unter Umständen - sogar ein Wörtchen mitreden sollte. Oder könnte. Oder eigentlich müsste.

Russlands wirtschaftliches Wohlergehen hängt vor allem von 2 Exportprodukten ab:

  • Gas
  • Erdöl


Der Staatshaushalt finanziert sich zu rund 80% (in Worten: achtzig!) aus diesen beiden Erlösquellen. Geht im Westen und/oder in anderen Ländern die Nachfrage zurück und/oder sinken die Preise, bekommt Russland ganz schnell ein erhebliches Problem. Angekündigte Reformen und andere Vorhaben (z.B. Elite- Universitäten) oder die Modernisierung der Wirtschaft und der Infrastruktur lassen sich dann nicht mehr finanzieren. Das betrifft dann alle Bürger.
Um diese Zahlen verständlicher zu machen, sprich die Zivilgesellschaft dafür zu interessieren, lässt KUDRIN das Zahlenwerk auf der Website anders aufbereiten. Z.B. nach Regionen (vgl. die interaktive Karte):  

Und in anderen nachvollziehbaren und verständlichen Formen. KUDRIN will, so das Internetportal, "die zivile Kontrolle über die Effizienz des staatlichen Budgets verwirklichen" (vgl. auch hier die interaktive Karte):

Bisher sah die Transparenz und die Verständlichkeit der sogenannten Budgeterfüllungsberichte durch das offizielle Föderale Schatzamt folgendermaßen aus: Excel-Dateien, einfach hintereinander online gestellt:

Wie schnell sich (manchmal) auch auf staatlicher Ebene etwas ändern kann, zeigt die unmittelbare Reaktion auf "budget4me": Jetzt präsentiert auch das Russische Schatzamt sein Zahlenwerk anders, und zwar so und dies zusätzlich sogar in englischer Sprache:

Ein (aller)erster Schritt, sozusagen


zur gleichen Zeit

Nicht so bekannt wie KUDRIN, aber genauso einfallsreich und aktiv werden im Moskauer Stadtteil Schukino zwei junge Leute:

  • Maxim KATZ, Jahrgang 1985 und von Beruf (professioneller) Pokerspieler
  • der Blogger Ilja VARLAMOV, der sich mit Stadplanung und Städtebau beschäftigt


KATZ hat sich für die Stadtratswahl am 4. März 2012 in seinem Stadtteil aufstellen lassen. Und ist auf Anhieb auch gewählt worden: mit 17% der Stimmen auf Platz 4. In einem Wahlflugblatt (siehe aktives Bild) hat er klargemacht worum es ihm geht. So lautet der Text in deutscher Sprache:

"Mein Name ist Max Katz, ich bin 27 Jahre alt. Am 4. März werden die Wahlen in den Stadtrat Schukino stattfinden. Das ist eine komplett sinnlose Behörde, die über keine Befugnisse verfügt.
Der größte Teil des Budget der Stadtbehörden wird darauf verschwendet, diese Behörden zu versorgen. Das durchschnittliche Lebensalter eines Stadtratsabgeordneten ist 63 Jahre. Es gibt aber keine Gründe, wieso Sie sich dafür interessieren sollten.
Doch habe ich mich dafür entschieden, an diesen sinnlosen Wahlen teilzunehmen. Und hiermit gebe ich Ihnen dieses Flugblatt, das auf meine eigene Kosten gedruckt wurde.
Seit ich 17 Jahre alt war machte ich Geschäfte. Als ich 26 wurde habe ich eine internationale Firma, ein Projekt gegründet, an dem 500 Leute teilnehmen.
Da mein Unternehmen in mehreren Ländern der Welt arbeitet, bin ich in den letzten Jahren viel gereist. Mit der Zeit wurde meine Interesse dafür, wieso es sich in einigen Städten viel angenehmer leben lässt, immer größer.
Ich habe viele Bücher und andere Quellen darüber gelesen und habe über einen 75-jährigen Professor erfahren, der sein ganzes Leben lang den Funktionsablauf der Städte an einer Universität in Kopenhagen erforscht hat.
Ich bin nach Dänemark gekommen und habe bei seinem Unternehmen eine Lehre durchgemacht. Ich habe gelernt, wie man eine Stadt sicherer und komfortabler für die Einwohner machen kann. Ich habe gelernt, welche Fehler in verschiedenen Ländern bei der Stadtplanung gemacht werden. Mehr Information darüber kann man in meinem Blog finden: maxkatz.lj.ru.
Jetzt will ich dieses Wissen in Moskau einsetzen, ich habe aber keine Kontakte, da ich niemals als Beamter tätig war. Also habe ich nur einen Weg, um an die “Macht” zu kommen: durch die Wahl. Und obwohl ich keine Befugnisse im Fall des Gewähltwerdens haben werde, ist es trotzdem ein guter Anfang einer politischen Karriere.
Mir wurde empfohlen, all das nicht direkt zu schreiben, sondern zu versprechen, dass ich mich für Rentenerhöhung und Lohnerhöhungen einsetzen werde. Und dass ich in Lügen verwickelte Beamte ertappen werde.
Mir wurde empfohlen meinen Namen zu verändern und mich in einem Anzug fotografieren lassen – so wie im Pass. Man sagte mir, es sei so in der Politik so üblich.
Unsere Politiker ekeln mich an, deswegen schreibe ich Ihnen so, wie es ist."


Die politische Philosophie des jungen Pokerspieler, der damit viel Geld verdient hat, sieht so aus: Man kann die aktuelle Situation nur von ganz unten verändern. 

Maxim KATZ und Ilja VARLAMOV handeln. Sie gründen die Stiftung city4people.ru . Ihre Idee: die Lebensqualität z.B. auf der Strasse zu verbessern.
Sie starten mit bzw. auf der großen Twerskaja-Strasse, die in unmittelbarer Nähe des Kreml beginnt und rund 2 km nach auswärts, in Richtung des sogenananten Gartenring führt. Die Strasse ist riesig breit, dicht befahren und links und rechts parken die vielen Autos die vergleichsweise schmalen Gehwege zu: Viel Raum für die Kfz, wenig Platz für die Bürger, wie das Foto aus dem Projekt "city4people" zeigt: 

Über den Sommer erstellen sie Statistiken:
Sie machen einer Erhebung zu den Autos und den Fußgängern. An einer dieser Stellen zählen sie 183 Parkplatzmarkierungen auf dem Gehweg, die im Durchschnitt täglich von 548 Autofahrern in Anspruch genommen werden. Den restlichen Gehweg nutzen 39.016 Menschen. Anders gesagt:

  • 75% der Gehwegfläche für 548 Autonutzer
  • 25% für 39.016 Fußgänger


Ein solches Missverhältnis lässt sich nicht leugnen. Und auch nicht wegdiskutieren: 

KATZ wird seine Recherchen und die Ergebnisse ausführlich im September 2012 in seinem Blog maxkatz.livejournal.com beschreiben. Dort finden sich auch weitere Grafiken und Bilder.
Da die Zahlen eine klare Sprache sprechen, setzen sich KATZ und VARLAMOV mit der Moskauer Stadtverwaltung in Verbindung: mit dem Vizebürgermeister, der für den Verkehr in Moskau zuständig ist. Sie schreiben ihm einen Brief und präsentieren die Zahlen. Und kündigen an, dass sie gegebenenfalls 20.000 Flugblätter für die dort wohnenden Einwohner drucken und verteilen würden.
Der Wink mit dem Zaunpfahl genügt. Der Vizebürgermsiter lässt eine Präsentation für den Bürgermeister selbst, Sergej SOBYANIN, erstellen.
Nachdem SOBYANIN das Problem zur Kenntnis genommen hat, handelt er: Am Ende des nächsten Tages im Monat Dezember sind die Parkmarkierungen auf den Gehwegen verschwunden. Ein erster Schritt. In einem Interview beschreibt KATZ selbst, wie und warum das alles (so schnell) abgelaufen ist.
Im Frühling 2013 wird es dann soweit sein: Auch die Parkmarkierungen am Strassenrand werden dann sind verschwunden sein und auf den Gehwegen stehen in regelmäßigen Abständen Bänke und Blumenkübel. Jetzt dominieren die Fußgänger die Gehwege zu 100%: 

Dies ist nur der eine Effekt. Ein anderer mag langfristiger wirken: Dass auch der staatliche Behördenapparat auf Bedürfnisse und Wünsche der Bevölkerung eingehen kann bzw. muss - wenn nur genügend Menschen dies kommunizieren. Und ohne dass dabei der hierarische Verwaltungsapparat sein administratives Selbstverständnis aufgeben muss.
Doch noch ist es nicht soweit, noch befinden wir uns - zeitlich gesehen - im Sommer des Jahres 2012


August + September 2012

Mehreres ereignet sich in diesen beiden Monaten:

  • 35 bekannte Rechtsanwälte verurteilen in einem offenen Brief das gerade angelaufene Strafverfahren gegen drei Aktivistinnen der Punk-Gruppe Pussy Riot . Das Urteil wird am 17. August gesprochen: 2 Jahre Lagerhaft für alle drei Frauen. Begründung: Sie haben sich des "Rowdytums aus religiösem Hass" schuldig gemacht
  • Ewgenija TSCHIRIKOWA , Waldschützerin aus Chimki, kündigt an, bei den anstehenden Bürgermeisterwahlen in ihrem Wohnort zu kandidieren
  • die Oppositionsbewegung, die in ihren Zielen und Wegen völlig zersplittert ist, hat sich auf ein neues Forum geeinigt, das künftig über gemeinsame Ziele und Strategien entscheiden soll: den Koordinantionsrat der Opposition . Ab sofort können sich Kandidaten bewerben
  • das "Zentrum für gesellschaftliche Verfahren 'Wirtschaft gegen Korruption'" gibt auf Anfrage des seit Jahren in Lagerhaft einsitzenden ehemaligen Öl-Oligarchen Michail CHODORKOWSKI (Yukos) eine Expertise in Auftrag, die das Gerichtsverfahren hinsichtlich seiner Fairnes überprüfen soll. Der stellv. Vorsitzende dieses Kommittees ist Boris TITOW, "Beauftragter des Präsidenten für die Rechte russischer und ausländischer Unternehmer" in Russland
  • am 28. August weist die Moskauer Stadtverwaltung den berühmten und beliebten Gorki-Park sowie den Park Sokolniki nach englischem Vorbild als "Hyde-Park" aus. Hier sollen künftig Demonstrationen und politische Versammlungen stattfinden (dürfen). Nach dem neuen Versammlungsgesetz soll/muss in jeder russischen Region ein solcher "Hyde-Park" deklariert werden
  • Ministerpräsident Dmitri MEDWEDEW verabschiedet das Konzept der "Russischen Gesellschaftlichen Initiative". Danach sollen Vorschläge aus der Bevölkerung von der russischen Regierung 'aufgenommen' werden, wenn sie von mindestens 100.000 Menschen im Internet unterstützt werden. Derlei Vorschläge sollen dann von einer Arbeitsgruppe "bestätigt" werden, bevor die Regierung sich damit beschäftigen (will). MEDWEDEW hatte diese Idee im Dezember 2011 erstmals vorgestellt - als Reaktion auf die Protestaktionen
  • am 5. September blockieren zehn Greenpeace-Aktivisten die Einfahrt der Gazprom-Zentrale in Moskau - aus Protest gegen die Ölförderung in der Arktis. Sie werden kurzzeitig festgenommen
  • die Staatsduma entzieht am 14. September Gennadij GUDKOW mit 291 gegen 150 Stimmen das Abgeordnetenmandat. Begründung: Er sei neben seiner politischen Arbeit auch unternehmerisch tätig gewesen, was verboten ist. GUDKOW bestreitet das. Seine Sicherheitsfirma wird von seinem Bruder und seiner Mutter gemanagt. Er selbst steht in der Kritik seitens der Abgeordneten der PUTIN-Partei "Einiges Russland", weil er sich von Anbeginn an auf die Seite der Opposition gestellt hat
  • tags drauf findet in Moskau der dritte Marsch der Millionen statt. Nach Angaben der Initiatoren beteiligen sich (nur noch) 30.000 Menschen. Die Polizei spricht von 14.000 Personen
  • wenige Tage später gibt das US State Department bekannt, dass die Tätigkeit der weltweit aktiven "US-Agentur für Internationale Entwicklung (USAID)" in Russland - auf Betreiben der russischen Regierung - eingestellt werde. USAID förderte bisher seit 1992 unterschiedliche Projekte, beispielsweise die Moskauer Helsinki-Gruppe, die Wahlbeobachtungsgruppe "Golos" und die weithin bekannte NGO "Memorial". USAID ist eine US-amerikanische Behörde, die mittels Fördergelder US-amerikanische (Außen)Politikinteressen verquickt: weltweit, aber seit 1992 auch in Russland
  • am 27. September durchsucht die Polizei in Jekaterinburg die Redaktionsräume des im Ural als unabhängiges geltenden Nachrichtenportals www.ura.ru . Ebenso die Privaträume der Mitarbeiter. Begründung: Vorwurf der Erpressung und Bestechung sowie "Diebstahls" in Höhe von umgerechnet 250.000 €. Die Chefredakteurin, die das alles nicht verstehen kann, sieht einen Zusammenhang mit der kritischen Berichterstattung über den amtierenden Gouverneur von Sverdlovsk sowie den stellv. Staatsanwalt und den regionalen Polizeichef



Oktober

Der Fernsehsender "NTW", der zu Gazprom Media gehört und damit dem russischen Staat, lässt am 5. Oktober zur besten Sendezeit einen Film über den Schirm flimmern: Anatomie des Protests - 2 . Teil 1 wurde bereits im März gesendet. Tenor damals: Demonstranten haben deswegen so zahlreich demonstriert, weil sie dafür bezahlt worden sind. Mit Geld aus dem Ausland (natürlich)
Jetzt geht es wiederum um Geld, so der Film: Geld aus Georgien, mit dem der Anführer der "Linken Front", Sergej UDALZOW , in Russland neue Massenunruhen finanzieren will. Die weiteren Helfer dieser geplanten Mission: Sein Assistent Konstantin LEBEDEV und der ehemalige Chef der "Bank Moskau". Der Partner auf der georgischen Seite: der Vorsitzende des Verteidigungs- und Sicherheitsausschuss des georgischen Parlaments, Giwi TARGAMADSE. Nach Ansicht der Urheber des Films hat dieser reichlich Erfahrungen bei der Vorbereitung "bunter Revolutionen" in Georgien und in der Ukraine und war einer der Organisatoren von Massenunruhen in Weißrussland. 

Im Film sind Aufnahmen mit versteckter Kamera zu sehen: ziemlich verschwommen (so z.B. bei 6:15, 6:21, 7:53, 8:15). UDALZOW indes ist nirgendwo zu sehen. Angeblich aber zu hören. Wer den Film gemacht, bleibt ein Geheimnis - im Abspann werden keinerlei Namen genannt.
Der Film "Anatomie des Protests - 2" sorgt - wir nicht anders zu erwarten - für helle Aufregung. In der Duma fordern Abgeordnete der PUTIN-Partei, dass UDALZOW "hinter Gitter" gehöre. Andere meinen, dass jetzt das Ermittlungskommitte tätig werden müsse. Dies geschieht auch auf der Stelle: wegen "Vorbereitungen zur Organisation von Massenunruhen.
UDALZOW, der jetzt verhört wird, bestreitet Gespräche mit georgischen Gesprächspartnern nicht. Geld sei aber nicht geflossen und "Massenunruhen" plane er auch nicht. Allerdings weitere Protestaktionen, aber "keinen Sturm des Winterpalais".

Hart trifft es aber den Mitarbeiter des Duma-Abgeordneten (Partei "Gerechtes Russland") und Oppositionellen von Ilja PONOMAREW , Leonid RASWOSSHAJEW (RAZVOZZHAYEV) . Auch er wird in dem Film "Anatomie des Protests - 2" beschuldigt, zusammen mit UDALZOW und mit Geld aus dem Ausland (Georgien) in Russland Massenunruhen und einen Umsturz finanzieren zu wollen.
Nachdem der Assistent von UDALZOW in Haft genommen wird, setzt sich RASWOSSAJEW nach Kiev (Ukraine) ab und bittet in einem Büro der UNO um politisches Asyl. Auf dem Weg in ein Cafe wird er von Unbekannten überwältigt und nach Russland zurück verfrachtet. Dort wird er auf der Stelle in U-Haft gesteckt.
Tags drauf, am 22. Oktober 2012, erklärt der Pressesprecher des Ermittlungskommittees, Wladimir MARKIN, dass RASWOSSHAJEW gestanden habe, die Ausschreitungen vom 6. Mai mit vorbereitet und für Herbst einen Umsturz in Russland geplant zu haben. Damit sei auch der Wahrheitsgehalt des Filmes "Anatomie des Protests, Teil 2" bestätigt worden.
Sein Chef, Ilija PONOMAREW hält dagegen: Seinem Mitarbeiter sei gedroht worden. Als PONOMAREW - zusammen mit einer Rechtsanwältin - ihn in der U-Haft besuchen will, wird beiden der Zugang verwehrt. Als RASWOSSHAJEW's Anwalt, Mark FEJGIN, kurz darauf öffentlich erklärt, sein Mandant habe das Geständnis widerrufen, wird FEJGIN als anwaltlicher Vertreter vom Verfahren gegen RASOSSHAJEW ausgeschlossen.

Ilija PONOMAREW selbst ist Technikfan - MEDWEDEW hatte ihn 2010 als einen der vielen Berater für sein russisches 'Silikon Valley' geholt: das Skolkowo-Projekt.
Inzwischen hat PONOMAREW eine Stiftung ins Leben gerufen: die Offene Projekt-Stiftung

Fünf Schwerpunkte stehen im Fokus:

  • Crowdfunding
  • Crowdsourcing
  • Unabhängige Medien
  • Projekte engagierter Bürger
  • (Digitale) Demokratie.


Zum Thema Demokratie gehört beispielsweise das (Teil)Projekt www.openduma.ru :

Das Projekt wird von einem Team Gleichgesinnter betrieben, die das Problem darin sehen, dass die Duma "kein Ort für Diskussionen" sei und deswegen politischen Einfluss verloren habe - die Duma ist zu einem Büro degeneriert, das Briefmarken auf ein- und ausgehende Dokumente klebt. Deswegen hat die Zivilgesellschaft das Interesse verloren, Einfluss auf den Gesetzgebungsprozess zu nehmen.
openduma will dagegen halten:

  • Live-Übertragungen sollen die Arbeit der Abgeordneten, die Logik und die Folgen von Gesetzen vermitteln
  • aber auch umgekehrt will die Plattform Rückmeldungen aus der Bevölkerung an die Parlamentarier kommunizieren, konkrete und konstruktive Vorschläge mit einbegriffen
  • dazu will "openduma" Online-Umfragen durchführen und auch diese Ergebnisse weitergeben
  • in der Rubrik "Abgeordnete" sind jene Parlamentarier mit Adressdaten vermerkt, die mit den Bürgern zu kommunizieren bereit sind.
  • Kurz: die Plattform versteht sich als Feedback-Instrument in beide Richtungen, um einen Prozess der Entstehung zur gesellschaftlichen Kontrolle in Gang zu setzen 

Das Thema Homosexualität in Russland erleidet das gleiche 'Schicksal' wie in westlichen Ländern bzw. moderner und freiheitlich aufgestellten Staaten der Welt: Das Thema ist gesellschaftlich nicht nur tabu - Homosexuelle bzw. sexuell anders orientierte Menschen werden ausgegrenzt und teilweise verfolgt.
In westlichen Ländern stört sich - inzwischen - praktisch niemand mehr an gleichgeschlechtlichen Politikern, egal ob Minister oder Bürgermeister, oder gar Künstlern. Allerdings: So lange ist das noch garnicht her - der (heute) zu den regulären Events zählende "Christopher Street Day" hat seinen Ursprung und Namen in der damaligen New Yorker Strassenschlacht von 1969. Nach einer (damals üblichen) Schwulenrazzia im Stadtteil Greenwich, bei der man (wie üblich) die Personalien feststellte, um sie hinterher zu veröffentlichen, und bei der Polizei besondern brutal vorging, entbrannten tagelange Strassenschlachten, die in der Christopher Street begannen. Dies war (gleichzeitig) das Fanal für das Entstehen mehrerer homosexueller Befreiungsbewegungen in den USA.
In Russland existiert seit Februar ein Gesetz, das "Propaganda von Homoexualität" unter Strafe stellt. Begründung: zum Schutz für Minderjährige.
Aktuell muss sich das Bezirksgericht in St. Petersburg mit einer Klage mehrerer konservativer Gruppen beschäftigen: eine Klage gegen die Organisatoren des Konzerts von Madonna vom 9. August und gegen die Sängerin selbst. Die Kläger beanspruchen 333 Mio. Rubel, umgerechnet 8,3 Mio € Schadensersatz - sie fühlen sich in ihren "religiösen Gefühlen verletzt". Madonna hatte sich indirekt nicht nur für Pussy Riot eingesetzt, sie hatte auch zu Toleranz gegenüber Homosexuellen aufgerufen. Die Richter werden die Klage in wenigen Wochen ablehnen.
Ohne polizeiliche Reaktion(en) halten mehrere Aktivisten vor dem Moskauer Gebietsparlament (zuständig für die Moskauer Region) Mahnwachen ab. Sie protestieren gegen das Gesetz "Propaganda von Honosexualität" und auch gegen einen gewaltsamen Überfall auf einen Moskauer Club, in dem eine LBGT-Veranstaltung stattgefunden hatte (lesbian, gay, bisexual, transgender movement).

Bei der Bürgermeisterwahl mim Moskauer Vorort Chimki setzt sich mit knapp 48% der Stimmen der bisher amtierende Bürgermeister der PUTIN-Partei "Einiges Russland" durch. Die Waldschützerin Ewgenija TSCHIRIKOWA , die sich ebenfalls der Wahl gestellt hatte, kommt mit 17% der Stimmen auf Platz 2. Die Wahlbeteiligung lag bei 28%.

Ein Grund mehr für Alexej KUDRIN, sich über sein Komitee für gesellschaftliche Initiativen zu Wort zu melden. Er analysiert auch die anderen Ergebnisse der gerade beendeten Regionalwahlen und beklagt die geringe Wahlbeteiligung: "Wahlen werden von einer Mehrheit der Bevölkerung nicht mehr als Mechanismus für zivile Veränderungen des gesellschaftlichen Lebens angesehen." So fordert er u.a. das Verbot von Wahlblöcken, das kleineren Gruppierungen und Parteien durch gemeinsame Kandidaten mehr Chancen einräumen würde.
Was auf politischer Ebene nicht gelingt, versucht ein neues Gremium bzw. Forum zu organisieren: ein Koordinationsrat der Opposition soll entstehen, der die unterschiedlichen Ziele und Konzepte der zersplitterten oppositionellen Gruppen bündeln soll. Die Abstimmung findet im Internet statt. Doch die Wahlaktion muss verlängert werden: Die Website wird durch sogenannte DDoS (Distributed Denial of Service)-Angriffe gestört; irgendjemand muss gezielte Hackerangriffe ausführen. Letztlich werden dann doch rund 82.000 Wähler ihre Stimme angegeben haben können.
Der neue Koordinationsrat der Opposition tritt erstmals am 22. Oktober zusammen. Zu den bekanntesten Persönlichkeiten, die in das 45-köpfige Leitungsgremium gewählt werden, gehören u.a. Maxim KATZ , Alexej NAWALNY , Dmitrij GUDKOW , Ilija JASCHIN (Solidarnost), die Chimiki-Waldschützerin Ewgenija TSCHIRIKOWA , aber auch Garri KASPAROW und der inzwischen in U-Haft einsitzende Leonid RASWOSSHAJEW , der im NTW -Film "Anatomie des Protests -2" terroristischer Umsturzversuche beschuldigt wird.
Der Koordinationsrat der Opposition beschließt, eine Liste mit Staatsangestellten zusammezustellen, die sich an der Verfolgung von Oppositionellen beteiligen - ähnliche wie die sog. Magnitzkij-Liste in den USA.
Nach der ersten Sitzung organisieren einige Mitglieder spontan Mahnwachen zur Unterstützung der politischen Gefangenen. U.a. auch Alexej NAWALNY. Er wird festgenommen und wenige Tage später von einem Moskauer Bezirksgericht wegen der Organisation einer "nicht genehmigten Demonstration" zu 30.000 Rubel Geldbuße (rd. 740 Euro) verurteilt. Am selben Tag (30. Oktober) demonstrieren bei Eisregen rd. 1.500 Menschen, um gegen die Haft der politischen Gefangenen zu demonstrieren und um die Absetzung des Chefs des Ermittlungskomitees (Strafverfolgungskomitees), Alexander BASTRYKIN, zu fordern. Das Ermittlungs- bzw. Strafverfolgungskomitee ist eine Art russischen FBI's - mit dem Unterschied, dass es t.w. selbst staatsanwaltschaftliche Vollmachten besitzt. 

Wie an jedem Monat mit 31 Tagen treffen sich - diesesmal am Majakowskij-Platz in Moskau rund 70 Personen zur "Strategie-31" Demonstration, die Artikel 31 der russischen Verfassung durchsetzen will: Versammlungsfreiheit.
Seit der ersten Demonstration im Jahre 2009 wurde keine dieser Versammlungen genehmigt. So auch dies nicht. Diesesmal werden 12 Personen von der Polizei vorübergehend festgenommen.
Am selben Tag gründen Alexej KUDRIN und Michail PROCHOROW, Vorsitzender der Partei "Bürgerplattform" eine "Schule gesellschaftlicher Leader", die auch gleich ein Pilotseminar organisiert 


November

Zum ersten des Monats tritt das "Gesetz der Kinder vor Informationen, die ihrer Gesundheit und Entwicklung Schaden zufügen" in Kraft. Bedeutet: Zuständige Behörden (Kommunikationsaufsicht, Verbraucherschutz, Föderale Dienste für Rauschgiftkontrolle u.a.) können bestimmte Internetseiten über das Portal www.zapret-info.gov.ru auf eine "Schwarze Liste" setzen, die dann gesperrt werden.
Auch in Deutschland hatte es einen ähnlichen Versuch gegeben, mittels des Vorwandes des Schutzes von Kindern und Minderjährigen die generelle Möglichkeit zu schaffen, 'unerwünschte' Internetseiten aus dem Verkehr zu ziehen: mitten im Wahlkampf des Jahres 2009 durch die damalige Bundesminister für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Ursula von der LEYEN (CDU). Die Folge: eine Welle des Protestes durch alle Reihen. Nicht gegen das Vorhaben an sich (für das es ausreichend Verbotsmaßnahmen gibt), sondern gegen die nicht ausschließbare Möglichkeit, über die Hintertür Zensur ausüben zu können. Die Ministerin musste sich fortan nolens volens mit dem Spitznamen "Zensursula" anfreunden.

Diesesmal findet der Petersburger Dialog in Moskau statt: Vertreter beider Regierungen (Russland, Deutschland) sowie der Zivilgesellschaft und diverser Branchen sowie gesellschaftlicher Ebenen diskutieren miteinander. Thema: die Informationsgesellschaft im 21. Jahrhundert.
Wie ein offizieller Vertreter der Duma das sieht, Wjatscheslaw NIKONOW, zuständig bei der Staatsduma für "internationale Angelegenheiten", erklärt er dem Radiosender Stimme Russlands : "Unsere deutschen Freunde glauben, dass sie uns tatsächlich belehren können, wie wir demokratische Institutionen entwickeln sollten. Und das, obwohl alle demokratischen Institutionen aus einem bestimmten Boden erwachsen, sich ausgehend vom Verhältnis der politischen Kräfte und der politischen Kultur in einem bestimmten Land entwickeln. Für unsere deutschen Freunde wird das dazu führen, dass sie sich ein wenig mehr damit vertraut machen, was in Russland vor sich geht, was Russland darüber denkt, wie Deutschland über es räsoniert. Jeder Dialog gestattet es, die Positionen zu klären und ein wenig intelligenter zu werden."
Bundeskanzlerin Angela MERKEL kritisert die innere Entwicklung Russlands öffentlich, spricht das Thema Pussy Riot an usw. PUTIN kontert. MERKEL stellt klar, dass Kritik "nicht destruktiv" sein müsse. Und: "Wenn ich da immer gleich eingeschnappt wäre, könnte ich nicht drei Tage Bundeskanzlerin sein." (Mehr bei SPIEGEL ONLINE ).

Nur wenige Tage später tritt das Gesetz über "ausländische Agenten" in Kraft. Gemeint: NGO's (Nichtregierungsorganisationen), die sich u.a. mit Geld aus dem Ausland finanzieren. Dies betrifft sowohl russische NGO's wie "Memorial" als auch ausländische Stiftungen wie etwa die Arbeit der "Konrad-Adenauer-Stiftung" in Moskau. Die russische Zentralbank weist dazu alle russischen Banken an, Überweisungen an solche NGO's von über 200.000 Rubel (ca. 5.000 €) an die föderale Behörde für Finanzaufsicht zu melden 


Dezember

Alexej KUDRIN veröffentlicht einen Bericht zum 1. Jahrestag der Wahlfälschungen und der anschließenden Proteste. Er fordert die Staatsmacht zum Dialog mit der Zivilgesellschaft auf.

Dies ist auch schon lange das Ziel des Rechtsanwalts, Bloggers und Korruptionsbekämpfers Alexej NAWALNY , der auch die meisten Stimmen bei der Wahl in den  erhalten hatte. NAWALNIJ gehört zu den bekanntesten und anerkanntesten Personen der Opposition. 

Jetzt gerät er ins Visier der "Macht": Das Ermittlungs- bzw. Strafverfolgungskomitee erhebt Anklage gegen ihn:

  • zunächst wegen "betrügerischen Diebstahls" sowie "Geldwäsche" in Höhe von 55 Mio Rubel (ca 1,4 Mio €)
  • wenige Tage später ebenfalls wegen "Diebstahls" von 100.000 Rubel (ca. 2.500 €) bei der Partei "Union der Rechten Kräfte" über eine Scheinfirma.


Auf der Behördeneigenen Website www.sledcomrf.ru/region/tag/152 stellt das Ermittlungskomitee eine "Chronik der Verbrechen von Navalny" online (für den Fall, dass originaler Link nicht mehr funktioniert: Die Site vom 24.12.2012 ist hinter dem aktiven Bild gespeichert).

Der Monat Dezember ist aber auch jener Monat, in dem Moskau's Bürgermeister SOBYANIN eine Präsentation über die große Einfahrtsstrasse nach Moskau, die Twerskaja, zu sehen bekommt - ebenso den Hinweis, dass ein junger Mann names Maxim KATZ, Mitglied im Stadrat von Schukino, angekündigt hat, er würde 20.000 Flugblätter unter den Anrainern der Twerksaja verteilen. SOBYANIN handelt auf der Stelle handelt: Am nächsten Morgen darf man dort nicht mehr auf den Fußgängerweg parken. 

Wie an jedem Monat mit 31 Tagen treffen sich - diesesmal wieder auf dem Triumph-Platz in Moskau - mehrere Menschen zur "Strategie-31" Demonstration, die Artikel 31 der russischen Verfassung durchsetzen will: Versammlungsfreiheit.
Seit der ersten Demonstration im Jahre 2009 wurde keine dieser Versammlungen genehmigt. Diesesmal müssen 25 Personen die Neujahrsnacht zu 2013 in Polizeigewahrsam verbringen


Das Neue Jahr 2013

Im Januar trifft das Gesetz in Kraft, nachdem es in jeder Region eine Art "Hyde-Park" geben muss, wo ohne besonderen Genehmigungen demonstriert werden darf. In Moskau ist dies der Gorkij-Park und der Parl Sokolniki. Mahnwachen indes, auch von einzelnen Personen, müssen genehmigt werden.
Ebenfalls im ersten Monat findet ein Marsch gegen die Schurken statt: Die Demonstranten fordern die Auflösung der Duma.
Das hatte auch die unabhängige Zeitung Nowaja Gaseta gefordert - in einer Unterschriftenaktion mit über 100.000 Namen. In der dafür zuständigen Sitzung des Duma wird diese Petition erörtert. Allerdings sieht der Ausschussvorsitzende keine Möglichkeit, die Petition als Gesetzesinitiative zu behandeln: Zwar sei dies bei 100.000 Unterschriften so vorgesehen, aber es gäbe keine Ausführungsbestimmungen zu diesem Gesetz.

Und wieder treffen sich - wie an jedem Monat mit 31 Tagen und wiederum auf dem Triumph-Platz in Moskau - mehrere Menschen zur "Strategie-31" Demonstration, die Artikel 31 der russischen Verfassung durchsetzen will: Versammlungsfreiheit.
Seit der ersten Demonstration im Jahre 2009 wurde keine dieser Versammlungen von der zuständigen Behörde genehmigt. Diesesmal werden 15 Personen vorübergehend festgenommen


12. Februar 2013

Alexej NAWALNIY , der mit seiner Initiative RosPil eine Art Wikileaks für Korruption betreibt und vor über einem Jahr der Geschäftsleitung des staatlichen Ölkonzern Transneft Betrug nachgewiesen hat (mehr unter Alexej NAWALNY ) lässt eine neue Enthüllung online gehen. Sie betrifft diesesmal den Vorsitzenden des Ethikausschusses bei der Staatsduma, Mitglied der PUTIN-Partei "Einiges Russland": Wladimir PECHTIN . AWALNJ weist ihm nach, dass er Immobilienbesitz vom Feinsten, u.a. im Bundesstaat Florida in den USA, verschwiegen hat: 

Die Reaktionen lassen nicht lange auf sich warten: PECHTIN legt bis zum Abschluss einer Duma-eigenen Untersuchung sein Mandat nieder. Eine Woche später muss er ganz aufgeben und die Duma verlassen - NAWALNY und seine Mitstreiter haben ganze Arbeit geleistet und ihre Vorhaltungen durch Recherchieren in amerikanischen Datenbanken mit Dokumenten unterlegt. In den USA gibt es den "Freedom of Information Act", der vorsieht, dass jeder Bürger dieser Welt alle amtlichen Unterlagen und Dokumente einsehen darf - sicherheitsrelevante Informationen und Militärgeheimnisse ausgenommen


noch im Februar

Das russische Verfassungsgericht erklärt in einem Urteil die vorgesehenen Verschärfungen des geänderten Versammlungsgesetzes vom Juli 2012 für überzogen. Die Richter setzen die Strafen herunter. Außerdem wird festgeschrieben, dass Schäden bei Ausschreitungen von genehmigten Versammlungen vom Staat zu tragen sind


3. bis 5. März

Der schweizerische Theatermacher und Regisseur, Milo RAU, veranstaltet im Moskauer SACHAROW-Zentrum an 3 Tagen eine Session unter dem Titel Moskauer Prozesse . Er rekonstruiert 3 Prozesse aus Moskau gegen russische Künstler und Ausstellungskuratoren: "Achtung Religion" (2003), "Verbotene Kunst" (2006). Als letztes der Trilogie: das Verfahren gegen Pussy Riot. Das Besondere an dieser szenischen Dokumentation: Milo RAU lässt keine Schauspieler, sondern normale Menschen spielen:

  • So wird die Rolle des anklagenden Staatsanwalts von Maxim SHEVCHENKO eingenommen - im Hauptberuf Journalist beim Staatsfernsehen und ultrakonservativ eingestellt.
  • Die Angeklagten werden von von Jekaterina SAMUZEWITSCH vertreten, die im Revisionsverfahren von der Lagerhaft ausgenommen wurde.
  • Die Richterrolle(n) übernehmen per Casting ausgewählte Moskauer Bürger.
  • Die beiden "Experten" werden von 2 gegensätzlichen Personen vertreten: Der eine ist Anhänger des Stalinismus, der andere sieht das "Punk-Gebet" als Ausdrucksform des zeitgenössischen Aktionismus.


Was denn die Motive ihrer Performance gewesen seien, will der 'Staatsanwalt' wissen? Auf die Verquickung von Kirche und Politik, also PUTIN und Patriarch KYRILL, hinzuweisen. Und auf die Einschränkungen der Kunstfreiheit! 

Mitten in der Aufführung drängen sich uniformierte Beamte der russischen Migrationsbehörde in den Theaterraum, sie wollen die "Papiere" des Regisseurs Milo RAU unter die Lupe nehmen. Aber alles ist in Ordenung, nach 2 Stunden Unterbrechung kann die Performance fortgesetzt werden - bis zur nächsten Unterbrechung. Draußen begehrt eine Abordnung orthodoxer Kosaken Einlass - optisch und mental unterstützt von einem größeren Aufgebot an Polizei.
RAU bittet die ungebetenen Gäste herein - sie sollen sich selbst davon überzeugen, dass keine "religiösen Gefühle" verletzt werden. Nach einer weiteren knappen Stunde ziehen auch die Orthodoxen wieder ab.
RAU's Intention verfängt: "Bewegung in die starren russischen Verhältnisse bringen". Konkret: den Diskurs

  • unter allen
  • und über alles


in Bewegung setzen und keine einzige inhaltliche Position dabei auszulassen.
Am Ende der Gerichtsverhandlung stimmen die 6 Schöffen ab, unter denen sich auch Vertreter der russisch-orthodoxen Kirche befinden: Freispruch für die drei Pussy-Riot-Frauen.

Milo RAU's Experiment wird im Mai in Zürich nachgespielt, danach bei den Wiener Festwochen als Videoinstallation. Zum Schluss kommt die Dokumentation in die Kinos ( mehr ... )

Wie von der staatlichen Macht angekündigt, finden im März Durchsuchungen bei verschiedenen NGO's in Moskau statt: bei der Menschenrechtsorganisation "Memorial" (siehe auch die Sektion Memorial Deutschland ), die der offiziellen Geschichtsklitterung der STALIN-Zeit entgegen wirkt und das GULag-System aufarbeitet, aber auch bei der "Konrad-Adenauer-Stiftung".
Die internationale Journalistenorganisation Reporter ohne Grenzen stuft Russland im Ranking der Pressefreiheit auf Platz 148 ein: sechs Rangsrufen tiefer (schlechter) als im Vorjahr 


April

Schwarzerde, auch aus dem Russischen "Tschernosem" (чернозём) genannt, zählt zu den besonders fruchtbaren Bodensorten. In Russland gibt es einige zusammenhängende Gegenden, in denen die Schwarzerde stark verbreitet ist - im Gegensatz zum Rest der Welt:

500 Km südöstlich von Moskau zieht sich in der Nähe der Stadt Borisoglebsk durch das Schwarzerdgebiet das Flüsschen "Hoper" (Река Хопёр). Eine - an sich - beschauliche Idylle, wenn dort nicht zugleich der Rohstoff Nickel angebaut würde:

Vor Ort gibt es inzwischen eine aktive Umweltbewegung, die den Stopp des Nickelabbaus fordert: um zu verhindern, dass die Böden versalzt werden und dadurch versauern, dass das Biosphärenreservat und das (noch) saubere Flüsschen Hoper nicht vernichtet werden.

In diesem Monat ist 'Großkampftag' angesagt. In Moskau ist die Chimki-Waldschützerin Ewgenija TSCHIRIKOWA zugange, die auch Mitglied im "Koordinationsrat der Opposition" ist. Sie hält auf dem Suworowskaja-Platz in Moskau eine flammende Rede, die in 30 Städte der Welt übertragen wird: Kiew, Berlin, Paris, Genf, Uljanowsk (an der Mittleren Wolga), Krasnojarsk u.a..
Das Thema Umwelt ergreift auch in Russland immer mehr Menschen und ist inzwischen nicht nur eine Angelegenheit von einigen wenigen Aktivisten.

Ebenfalls in Moskau zu dieser Zeit: An der großen Einfallsstrasse Twerskaja, die auf den Kreml zuführt, werden auf den Gehwegen links und rechts Bänke und Blumen für die Fußgänger aufgestellt.

Weitere relevante Ereignisse im Monat April 2013:

  • Russlands Staatspräsident Wladimir PUTIN gibt am 5. April dem Chefredakteur des WDR , Jörg SCHÖNENBORN, kurz vor seinem Besuch der Hannover Messe ein Interview , in dem er zu dem Agenten-NGO-Gesetz und zur demokratischen Entwicklung in Russland äußert
  • am 8. des Monats stirbt in Chimki der ehemalige Chefredakteur der Zeitung Chimskinskaja Prawda , der über Korruption in der Stadtverwaltung geschrieben und sich für die Erhaltung des Chmiki-Waldes eingesetzt hatte. In diesem Zusammenhang wurde er 2008 von bisher offiziell Unbekannten zum Invaliden zusammengeknüppelt; BEKETOV konnte seither auch nicht mehr sprechen. Mehr unter www.anstageslicht.de/Beketov
  • die Menschenrechtsorganisation "Agora" gibt Zahlen bekannt: die russischen Staatsanwaltschaften würden - bisher - gegen 225 NGO's in 50 Regionen nach dem (ausländischen) Agentengesetz ermitteln
  • in Kirov, rund 1.000 km von Moskau entfernt, beginnt auf Betreiben des Ermittlungskomitees in Moskau ein Gerichtsverfahren gegen Aleksej NAWALNIY. Er soll in seiner Zeit als Berater des Bürgermeisters bei der staatlichen Holzfirma "Kirowles" 16 Mio Rubel (knapp 400.000 €) unterschlagen haben
  • das russische Verfassungsgericht stellt am 22. April klar, dass wahlberechtigte Bürger Wahlergebnisse vor Gericht anfechten dürfen. Dies hatten mehrere Gerichte im Zusammenhang mit Klagen gegen die Duma-Wahl 2011 abgelehnt
  • jetzt trifft es auch das Meinungsforschungsinstitut "Lewada-Zentrum", das regelmäßig Umfragen unter der Bevölkerung durchführt: über die Lebenssituation der Menschen, die Mediennutzung, Einschätzungen zum Problem Korruption usw. Die Staatsmacht betrachtet das Zentrum als "nichtkommerzielle" Organisation, die sich u.a. mit Geldern aus dem Ausland finanziert und daher dem NGO-(Agenten)Gesetz unterliege
  • das Moskauer Stadtgericht verurteilt den Assistenten von Sergej UDALZOW , Konstantin LEBEDEV zu 2 1/2 Jahren Lagerhaft. Begründung: Er habe während des "Marsches der Millionen" am 6. Mai 2012 "Massenunruhen" organisiert. Dies war auch die These des NTW -Films "Anatomie des Protests - 2" vom Oktober 2012, in dem es vor allem um UDALZOW, den Anführer der "Linken Front" ging



Mai 2013

In diesem Monat jährt sich der 1. Marsch der Millionen anlässlich der neuerlichen Amtseinführung von Wladimir PUTIN am 7. Mai 2012. Zwölf Monate später ereignen sich diese Vorgänge:

  • am 5. und 6. Mai gibt es Protestaktionen und auf dem Bolotnaja-Platz eine Großdemonstration, an der sich 30.000 (Angaben der Veranstalter) bzw. 8.000 Menschen (Polizeiversion) beteiligen. Sie fordern die Freilassung der politischen Gefangenen vom 6. Mai letzten Jahres
  • im Gerichtsverfahren gegen Aleksej NAWALNY, zu dem der Angeklagte regelmäßig nach Kirov reisen muss, sagt der Gouverneur des Gebietes von Kirov, Nikita BELYCH, als Zeuge aus: NAWALNY habe in seiner Zeit als Berater bei der Reorganisation der staatlichen Holzfirma dem Staat keinen Schaden zugefügt 
  • Auch in Russland sind "illegale Doktortitel" ein Thema. Allerdings in anderer Größenordnung als hierzulande: Mehr als 1.300 solcher wissenschaftlichen Grade habe die "Oberste Attestationskommission im Bildungsministerium" im Jahr 2012 illegal vergeben. Folge: Der stellvertretende Bildungsminister tritt zurück. Der amtierende Minister, Dmitrij LIVANOV, steht ebenfalls in der Kritik - zumindest seitens der Studenten, die dafür eine eigene Website aufgebaut haben (siehe aktives Bild)
  • der international bekannte und anerkannte Wirtschaftswissenschaftler Sergej GURIJEW, Direktor der Ruusischen Wirtschaftshochschule, tritt zurück und flieht ins Ausland nach Paris, wo bereits seine Familie lebt. Er hatte 2011 im Auftrag des "Menschenrechtsrats beim Präsidenten" an einem Gutachten mitgewirkt, das dem zweiten Gerichtsverfahren gegen Michail CHODORKOWSKI mangelnde Fairness attestiert hat. In diesem Zusammenhang wurde er vor kurzem vom Ermittlungskomitee verhört. Jetzt fürchtet er um sein Leben bzw. um seine Freiheit
  • am 31. des Monats revidiert das Moskauer Stadtgericht das Urteil eines Bezirksgerichts gegen den Geschäftsmann Alexej KOSLOV in Sachen "Geldwäsche" und spricht ihn frei. Den Anklagepunkt "Betrug" halten die Richter allerdings aufrecht, verkürzen aber die Hftzeit um ein Jahr, so dass KOSLOV wenige Tage drauf aus dem Gefängnis kommt. KOSLOV ist mit der oppositionellen Aktivistin Olga ROMANOVA verheiratet, die auch im Koordinationsrat vertreten ist. Bereits zu Beginn des Gerichtsverfahrens im März 2012 war ihm klar, dass er aus politischen Gründen ins Gefängnis musste. Sein Verfahren war auch in der Geschäftswelt sehr umstritten. 

Wie an jedem Monat mit 31 Tagen treffen sich am Triumph-Platz in Moskau mehrere Menschen zur "Strategie-31" Demonstration, die Artikel 31 der russischen Verfassung durchsetzen will: Versammlungsfreiheit.
Seit der ersten Demonstration im Jahre 2009 wurde keine dieser Versammlungen genehmigt. Diesesmal 14 Personen von der Polizei vorübergehend festgenommen


Juni 2013

Auch Garry KASPAROW, ehemaliger Schachweltmeister und seit jeher aktiv in der Opposition verwurzelt, will nicht mehr nach Russland zurückkehren. Auch er fürchtet um sein Leben bzw. um seine Freiheit im Rahmen der sog. Bolotnaja-Ermittlungen (1. Marsch der Millionen zum Bolotnaja-Platz am 6. Mai 2012). Dies gibt er am 5. Juni auf einer Pressekonferenz in Genf bekannt. Weitere Ereignisse:

  • Tags drauf beginnt vor dem Moskauer Stadtgericht das Verfahren wegen der "Massenunruhen" auf dem Bolotnaja-Platz vor genau einem Jahr. 12 Personen sind angeklagt, ihre U-Haft seither wird weiter um ein halbes Jahr verlängert.
  • Ungeachtet der Gerichtsverhandlung in Sachen "Bolotnaja" gehen ein Jahr nach dem "2. Marsch der Millionen" vom 12. Juni 2012 wieder viele Menschen auf die Strasse: 20.000 laut Angaben der Veranstalter, 6.000 laut Polizei
  • die (inzwischen) amtlich registrierte und zugelassene Republikanische Partei Russlands - Partei der Volksfreiheit (RPR-PARNAS) wählt Alexej NAWALNY zum Kandidaten für das Moskauer Bürgermeisteramt. Gewählt wird im September.
  • Ebenfalls um ein politisches Amt will sich Gennadij GUDKOW bewerben. Er war letztes Jahr aus der Duma ausgeschlossen worden - weil er angeblich nebenher unternehmerisch tätig gewesen sei. GUDKOW will sich der Wahl zum Gouverneur des Moskauer Gebiets stellen, ebenfalls im September
  • auf dem Moskauer Flughafen Scheremetjewo landet im Transitbereich und aus Hongkong flüchtend Edward SNOWDEN , ein Whistleblower, der seit wenigen Wochen mit seinen Enthüllungen über die US-amerikanische NSA die Welt in Atem hält.


Nicht die Welt, aber die lokalen und regionalen Behörden in Chimki, einer 200.000-Einwohnerstadt direkt im Nordwesten vor Moskau, hält Ewgenija TSCHIRIKOWA seit 2008 in Atem. Sie war mit ihrer Familie eigens hierher gezogen, um naturnah leben zu können. Seit mehreren Jahren gibt es um die Streckenführung einer geplanten Autobahn zwischen Moskau bzw. dem Flughafen Scheremetjewo und St. Petersburg Konflikte. Dass die Autoahn benötigt wird, steht außer Frage. Allein um die Route geht es. Der Bürgermeitser sowie der Gourverneur des Moskauer Gebiets, beides Mitglieder der PUTIN-Partei "Einiges Russland", wollen die Autos mitten durch den Wald von Chimki führen, wobei auch links und rechts der Autobahn auf einem breiten Streifen alle Bäume abgeholzt werden sollen: Um Raum für Industrie und Gewerbe zu schaffen. Alle anderen 4 möglichen Streckenführungen wurden verworfen.
Dagegen wächst der Protest - gebündelt in der Umweltbewegung www.ecmo.ru

Einen ersten Erfolg haben die Waldschützer bereits erreichen können: Weil der Protest ständig von Miliz und Polizei schikaniert wird, konkret: die Demonstranten oft brutal behandelt, teilweise verprügelt und immer wieder verhaftet wurden und auch die ökologischen Folgen ausgeblendet werden, ist die Europäische Investitionsbank, die das Projekt maßgeblich finanzieren wollten, ausgestiegen. Jetzt hat der französische Baukonzern "Vinci", der das Projekt geplant hat und unter seiner Federführung bauen und später über eine Konzession auch betreiben möchte, ein Problem (Details unter www.anstageslicht.de/Beketov).
War die Strategie des Protests zwar geeignet, vorgesehene Maßnahmen zwar hinauszögern, aber letztlich nicht verhindern zu können, kommt es bei den Waldschützern von Chimki zu einem Strategiewechsel. Jetzt sammeln die Aktiven Unterlagen und Dokumente und beauftragen Juristen und Experten, die u.a. die Rechtmäßigkeit der Ausschreibung überprüfen sollen.
Am 24. Juni 2013 ist es soweit: TSCHIRIKOWA und Vertreter anderer NGO's wie www.BankWatch.org , russie-libertes.org oder auch Sherpa fahren in die französische Stadt Nanter. Dort hat der Bau- und Konzessionskonzern Vinci (z.B. Bauen und Betreiben vieler französischer Autobahnen) seinen Stammsitz.
Es gibt dort aber auch eine Staatsanwaltschaft. Just diese ist das Ziel der russischen Umweltschützer. Sie übergeben ein Dossier mit vielen Informationen und Belegen. Die zuständigen Staatsanwälte mögen prüfen, ob bei Ausschreibung und Vergabe sowie der Planung und Festlegung der Streckenführung der geplanten Autobahn Moskau-St.Petersburg Bestechung und Korruption im Spiele war.
"Früher haben wir durch Protestaktionen auf unser Problem aufmerksam gemacht" , meint Eugenia TSCHIRIKOWA. "Jetzt haben wir uns entschieden, das mit dem Fokus auf Korruption zu machen. Das trifft die Kapitaleigner härter als wenn wir zuhause einen Bulldozer hinhalten können." Und daher warten alle auf die Ergebnisse der französischen Ermittlungen 


Juli 2013

Korruption und Bestechung, die Verschwendung von Geldern im Staatsapparat und vor allem bei staatlichen Unternehmen, die Stärkung der Rechte von Minderheitsaktionären - all dies steht auf der Agenda von Alexej NAWALNY . Im Jahr 2012 hat er Veruntreuung von Geldern beim staatlichen Ölkonzern Transneft nachgewiesen, Anfang des Jahres 2013 den Duma-Abgeordneten PECHTIN, der gleichzeitig Vorsitzender der "Kommission für die Ethik von Abgeordneten" vorstand, überführt, seinen privaten Immobilienbesitz in den USA verschwiegen zu haben.

Jetzt meldet sich NAWALNIJ, der regelmäßig ins rund 1.000 km entfernte Kirov fahren muss, weil er jetzt selbst der Veruntreuung von Geldern angeklagt ist, erneut in seinem Blog zu Wort. Er hat über einen engen Freund von PUTIN aus gemeinsamen St. Petersburger Zeiten recherchiert: über Wladimir JAKUNIN, den heutigen Chef der staatlichen Eisenbahnen von Russland "RZD" (links im Bild).

Einer von NAWALNIY's Vorhaltungen: das Privatgrundstück des staatlichen Eisenbahners, das fast doppelt so groß ist wie erlaubt. Und viele weitere Merkwürdigkeiten.
NAWALNY begibt sich aufs Glatteis. Nachdem er angekündigt hat, dass er - zunächst - als Bürgermeister von Moskau zu kandidieren gedenke und in 4 Jahren sich um das höchste Amt des Staatspräsidenten bewerben werde, geht NAWALNY auf klaren Konfrontationskurs.
Das merkt NAWALNIY am 18. Juli vor Gericht. Nachdem die Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren bereits 2 Male eingestellt hatte, weil nichts zu finden war, ist es diesesmal anders. Auf Anweisung des Ermittlungskomitess wurde die Kirover Staatsanwaltschaft erneut angehalten, zu ermitteln. Diesesmal konstruiert sie doch den Tatbestand der Veruntreuung von Geldern. Da in Russland bei Strafprozessen die Anzahl der Freisprüche statistisch bei unter 1% liegt und auch der zuständige Richter in seiner gesamten Laufbahn bisher nur einen einzigen Freispruch ausgesprochen hatte, wird NAWALNIY (absehbar) wegen Veruntreuung von umgerechnet rund 400.000 Euro verurteilt: zu 5 Jahren Lagerhaft. Noch im Gerichtssaal wird er abgeführt.
Da die politischen Kräfte in Russland offenbar doch nicht so eindeutig verteilt oder strukturiert sind, kommt ausgerechnet von der Staatsanwaltschaft die Anweisung, NAWALNY wieder auf freien Fuß zu setzen - bis die Berufung entschieden ist. NAWALNY wird in Moskau von vielen seiner Anhänger begeistert empfangen. Und auch die Wahlbehörde gab zu verstehen, dass er, solange er strafrechtlich nicht verurteilt ist, für die Bürgermeisterwahl am 8. September 2013 kandidieren kann. Sofern es bis dahin nicht doch noch zu einer (endgültigen) Verurteilung kommt.

Langfristiger als die anstehenden Wahlen plant inzwischen Eugenia TSCHIRIKOWA. Sie hat maßgeblich am Zustandekommen eines großen Umweltfestivals mitgewirkt, das am letzten Wochenende im Juli stattfindet; das EcoFestival "EcoPath" :  

Da geht es um

  • die Verbreitung des Gedankens eines respektvollen und schonenden Umgangs mit der Umwelt,
  • dem Dialog über jene Welt, in der wir leben,
  • um Nachhaltigkeit in allen Bereichen: Wissenschaft, Kultur und Kunst, Erziehung und Bildung, Gesundheit und gesellschaftliche Entwicklung.


Rund 10.000 Teilnehmer werden erwartet. In ihrem Twitter gab TSCHIRKOWA ihre künftiges Credo bekannt: "Ich möchte die Welt verändern, sie grüner und freundlicher machen, und deswegen organisiere ich nicht Revolution, sondern das EcoFestival.


(LiS, agu, AZ, DG, bond, JL. Die jeweils kurz skizzierten Ereignisse sind der chronologischen Aufstellung der Länder-Analysen für Russland entnommen)