Die Berichte der Stuttgarter Nachrichten, 12.03.2008

von Jürgen BOCK

DRK-Mitarbeiter in Not

Die Notfallrettung in Stuttgart kann die gesetzlichen Hilfsfristen nicht einhalten. Am Donnerstag wird über Lösungen diskutiert. Derweil werden beim Deutschen Roten Kreuz (DRK) neue Vorwürfe laut. Viele neu eingestellte Mitarbeiter werden nicht mehr nach Tarif bezahlt - und beklagen ein Leben am Existenzminimum. 

"Ein kaputter Kühlschrank bereitet mir schlaflose Nächte", sagt die junge Rettungsassistentin am Tisch im Stuttgarter Gewerkschaftshaus. "Als meine Waschmaschine den Geist aufgegeben hat, musste ich mein Auto verkaufen, um eine neue anschaffen zu können", pflichtet ihr der Kollege bei und ergänzt: "Ich gehe gerne zur Arbeit, aber ich muss zu Fuß hingehen, weil ich mir die Bahn nicht leisten kann."

Die Menschen, die über ein Leben am Existenzminimum klagen, sind nicht etwa arbeitslos, sondern arbeiten als Rettungsassistenten beim DRK. 45 Stunden die Woche, im Schichtdienst, Tags und Nachts. "Die meisten bei uns", sagen die jungen Leute, die ihre Namen aus Angst um den Arbeitsplatz nicht nennen wollen, "haben längst einen oder gar zwei Nebenjobs, um irgendwie über die Runden zu kommen."

Die Vorwürfe der Mitarbeiter richten sich an den eigenen Arbeitgeber, den DRK-Kreisverband Stuttgart. Seit fünf Jahren werden dort neue Mitarbeiter im Rettungsdienst nicht mehr nach Tarif bezahlt, sondern bei einer eigens gegründeten gGmbH angestellt. "Dort arbeiten die vorwiegend jungen Leute unter Bedingungen, die kaum noch das Existenzminimum sichern", sagt Verdi-Fachbereichsleiterin Christina Ernst. Die Betroffenen berichten von einem Einstiegsgehalt von 1300 Euro brutto.

Die Missstände stehen für Verdi in Zusammenhang mit den Problemen der Stuttgarter Notfallrettung, die die gesetzlichen Hilfsfristen nicht einhält. Das DRK stellt den Großteil der Rettungswagen und des Personals. "Jahrelang haben die Mitarbeiter die Missstände durch ihren Einsatz aufgefangen, aber jetzt sind sie an eine Grenze gekommen", sagt Christina Ernst. Der Druck steige ständig. Die DRK-Führung müsse im zuständigen Bereichsausschuss besser mit den Krankenkassen verhandeln, um mehr Mittel zu bekommen. Die Gewerkschaft sammelt Unterschriften mit dem Ziel, dass alle Mitarbeiter der gGmbH nach dem Tarif des öffentlichen Dienstes bezahlt werden.

Diese Forderung hält DRK-Kreisgeschäftsführer Frieder Frischling für unrealistisch. "Wir liegen im Personalbereich über dem Budget, das wir von den Kostenträgern erhalten", sagt er. Um die erheblichen finanziellen Probleme in den Griff zu bekommen, müsse man beim Personal sparen: "90 Prozent unserer Kosten betreffen diesen Bereich." Also sei die gGmbH nötig gewesen, die man allerdings "nie als Dauerlösung bezeichnet" habe. Bei Neuanstellung sei die Grundvergütung ähnlich der im Tarifvertrag. Betroffen seien auch nicht, wie behauptet, 60 der 200 Mitarbeiter im Rettungsdienst, sondern weniger. Der Vorwurf, man verhandle schlecht, sei falsch: "Wir haben etwa bei den Krankentransporten sogar den Weg bis zum Verwaltungsgericht bestritten, um höhere Sätze zu bekommen."

Aufhören wollen die betroffenen Mitarbeiter nicht. "Ich werde regelmäßig gefragt, wann ich endlich etwas Richtiges lerne", sagt einer, "aber wir lieben diesen Beruf und machen ihn hoch motiviert." Die wichtige Notfallrettung dürfe nicht zum Übergangsberuf ohne Zukunft werden.

Am Donnerstag befasst sich der Bereichsausschuss bei einer Krisensitzung mit der Situation der Stuttgarter Notfallrettung.

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